Aus seinem Büro im fünften Stock der Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA hat man einen feinen Ausblick: rechts die Nationalbank, in der Helmut Ettl lang gearbeitet hat, geradeaus das Alte AKH, die Türme der Kirche Alser Vorstadt, weit im Westen die goldene Kuppel der Kirche am Steinhof. Und, gleich links, das riesige Gebäude des Straflandesgerichts Wien. "Ja, alles da", lacht der FMA-Vorstandsdirektor. Er ist gut drauf. Wieder, denn:

STANDARD: Froh, dass Sie nach Ihrem Urlaub nicht auf Jobsuche gehen müssen? Wäre es nach der türkis-blauen Regierung gegangen, wären Sie Ihren Job im FMA-Vorstand am 31. Dezember los gewesen. Die Aufsicht sollte in der FMA zusammengelegt, die Aufseher aus der Nationalbank (OeNB) in die FMA übersiedelt werden. Die FMA hätte nur noch einen Chef gehabt, Ihr Job wäre weggefallen.

Helmut Ettl, FMA-Vorstandsmitglied, wartet bei den Aufsichtsreformplänen einmal ab.
Foto: Regine Hendrich

Ettl: Warten wir einmal ab, was politisch kommt. Die nächste Regierung hat darüber zu befinden. Ich gehe aber davon aus, dass alle Beteiligten die Diskussion und kritischen Argumente zur Reform aufgenommen haben und dass wir auf absehbare Zeit so wie bisher weiterarbeiten werden. Die Aufsicht funktioniert und ist effektiv. Jetzt haben wir auf unserer Tagesordnung, das Zusammenspiel FMA -OeNB zu optimieren ...

STANDARD: In einem Schreiben an die Mitarbeiter von FMA und OeNB nach dem Abbruch der Vorbereitungen der Aufsichtsreform stand zu lesen, dass die Aufseher von FMA und OeNB einander jetzt wenigstens besser kennen. Kommt mir so vor, als bliebe ein Paar nach einer Krise zusammen und sagte: Jetzt kennen wir wenigstens auch unsere schlechtesten Seiten.

Ettl: Sicher lernt man sich in so einer Phase intensiv kennen. Wir wissen jetzt genauer, was der jeweils andere macht und haben unser Verständnis für einander verbessert. Unsere letzte intensive Kennenlernphase war 2007, 2008, nach dem Banken-Untersuchungsausschuss. Damals haben wir unser Arbeitsverhältnis sehr klar geregelt. Seither haben sich die Bankenaufsichtsagenden aber fundamental geändert und das haben wir in unserer Arbeitsaufteilung noch nicht so klar nachvollzogen. Das tun wir jetzt. In ein paar Monaten werden wir ein Memorandum of Understanding über unsere Zusammenarbeit schließen. Wir brauchen Nachschärfungen in der Kompetenzabgrenzung – so kann man die Vorteile beider Häuser am besten zusammenbringen.

STANDARD: Für die FMA wäre die Aufsichtsreform ja gut gewesen: Fast alle Aufsichtskompetenzen wären zu ihr gewandert. Was hätten Sie von dem Modell gehalten?

Ettl: Man sollte eine starke und unabhängige Aufsicht unter Einbindung der Notenbank haben. Das ist gerade bei der Bankenaufsicht ein Erfolgsmodell. Unser Modell ist nicht das schlechteste, aber man kann so etwas politisch natürlich immer ändern. Wichtig ist, dass es durch Reformen nicht zur Schwächung der Aufsicht kommt.

STANDARD: Hätte die Reform, die Türkis-Blau vorhatte, die Aufsicht geschwächt? Es hätte nur noch einen Chef gegeben …

Ettl: Ich habe in keinem Absatz die Worte "Stärkung der Aufsicht" gefunden. Das Abgehen vom Vier-Augen-Prinzip in der FMA-Führung hätte sicher nicht zur Stärkung beigetragen. Das kann man nicht wegdiskutieren und das haben auch fast alle so gesehen.

Die türkis-blaue Regierung unter Sebastian Kurz (links) und Heinz-Christian Strache wollte die Aufsicht umbauen. Der Gesetzesentwurf dafür steht längst.
Foto: APA/Techt

STANDARD: Was haben Sie sich gedacht, als Sie erfuhren, dass Sie per Gesetz abgeschafft werden?

Ettl: Ich habe seit meinem Antritt hier vor

zwölf Jahren gewusst, dass so etwas passieren kann. Als FMA-Vorstand habe ich eine sehr exponierte Position, da schafft man sich nicht nur Freunde. Ich stehe für konsequente Aufsicht, eine Aufsicht mit Biss, eine Aufsicht, die für Sauberkeit im Finanzsektor sorgt.

STANDARD: Ihr Vorstandskollege Klaus Kumpfmüller doch auch? Er wäre ja geblieben.

Ettl: Er hat sicher auch diese Auffassung. Aber ich bin seit 2008 da und das ist viel Zeit zum Anecken.

STANDARD: Kumpfmüller kam 2013, gehört zur ÖVP, Sie zur SPÖ. Hat wohl auch eine Rolle gespielt?

Ettl: Ich war die letzten zwanzig Jahre in der Aufsicht tätig, meine politische Meinung tut nichts zur Sache. Und seit dem Banken-U-Ausschuss 2008 ist politische Intervention so gut wie vorbei: Kein Politiker hat Lust, sich in einem solchen Ausschuss über Dokumente, die Interventionen belegen, befragen zu lassen. Das hat schon gegen Interventionen genützt.

STANDARD: Wie sicher stehen denn Österreichs Banken elf Jahre nach der Krise da? Die meisten schreiben große Gewinne.

Ettl: Im österreichischen Bankensystem ist die Krise überwunden und verdaut, die Bilanzen sind von den faulen Krediten gereinigt, die Institute erfüllen die höheren Eigenkapitalerfordernisse. Die Banken wachsen wieder, aber die Relationen haben sich stark verändert. 2008 betrug die Bilanzsumme von Österreichs Bankensystem 400 Prozent des BIP, jetzt sind es 255 Prozent. Das Geschäftsmodell international tätiger Banken haben wir sehr viel nachhaltiger gestaltet, denn sie müssen ihr Wachstum jetzt vor Ort in lokaler Währung refinanzieren und nicht in Euro über die österreichische Mutter. Damit wurde gleichzeitig die Sucht nach der Fremdwährung Euro geheilt. Aufpassen muss man aber natürlich immer, dass sich nicht irgendwo neue Risiken aufbauen.

STANDARD: Eben. Was, wenn Italien kippt?

Ettl: Es geht nicht nur um ungelöste Probleme in Italien, wir haben weltweit ein unheimlich großes politisches Risiko: internationale Handelskonflikte, Brexit. Aber unser Finanzsektor ist stabil aufgestellt, wäre auch von gröberen Problemen zumindest nicht unmittelbar betroffen.

STANDARD: Die Risikolust von Bankern verschwindet aber doch nicht. Wohin hat sie sich verlagert?

Ettl: Da befinden wir uns in einem Schweinezyklus. Zehn Jahre nach der Krise hat das Vergessen wieder eingesetzt, überall auf der Welt wird die Regulierung bekämpft, überall fordert man Lockerungen. Unsere größten Herausforderungen sind Digitalisierung, dass internationale Firmen zu groß werden und zu viel Einfluss auf Einzelstaaten bekommen und der Klimawandel. Gerade beim Thema Klimawandel spielt der Finanzsektor eine wesentliche Rolle, denn der steuert die Investitionen mit. Über die Regulierung kann man klimaschädliche Investitionen verteuern und klimaverbessernde entlasten. Wir dürfen aber nicht in die Falle tappen, alles, was einen Greening-Faktor hat, als risikofrei anzusehen. Wir kennen das etwa aus Windpark-Pleiten: Nicht alles, was sich gut anhört ist nachhaltig. Nur weil Grün draufsteht, heißt das nicht, dass Grün drinnen ist. Man muss immer auch die Risiken sehen, wir als Aufsicht müssen darauf achten, dass das nicht auf Kosten der Stabilität des Finanzmarkts geht.

STANDARD: Wo sind die größten Risiken des Finanzmarkts?

Ettl: Die Finanzindustrie ist in einem massiven strukturellen Umbruch, Digitalisierung und Technologiefortschritt verändern Geschäftsmodelle und Finanzinstrumente. Wir prüfen jetzt schon alle Tokens und Kryptoassets darauf, ob sie Finanzinstrumente sind und damit unserer Aufsicht unterliegen. Nur, weil etwas digital ist, heißt das nicht, dass es nicht reguliert wird.

STANDARD: Die FMA hat zuletzt wegen Verstößen gegen Vorschriften zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung hohe Strafen verhängt. Die frühere Meinl Bank muss rund 500.000 Euro zahlen, und, so die Bescheide rechtskräftig werden, die Hypo Vorarlberg rund 414.000 und die Raiffeisen Bank International rund zwei Millionen Euro. Sind Österreichs Banken da etwas unaufmerksam?

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Bei der Prävention von Geldwäsche spielt Österreich in den Augen des Aufsehers eine Vorreiterrolle.
Foto: Getty/Hemera/Dmitry Sokolov

Ettl: Auch im Bereich Geldwäscherei hat sich viel verbessert. Vor zwanzig Jahren war da noch viel möglich, in Österreich besonders viel, wir waren im Klub der Schmuddelkinder. Die Behilflichkeit bei Steuervermeidung war ein Geschäftsmodell. Das gibt es in Österreich nicht mehr, das haben wir abgedreht. Nach einem sehr kritischen Bericht der FATF, der Standardsetzerin in der Geldwäscheprävention, bekam die FMA weitgehende Kompetenzen, und das hat sich ausgezahlt. Mittlerweile sind wir mit unserem Präventionssystem zum Vorzeigebeispiel geworden. Österreich wurde sehr früh sehr scharf kritisiert, wir haben aber entschlossen Maßnahmen gesetzt. Heute muss auch jede Auslandstochter einer österreichischen Bank die strengen Vorgaben erfüllen. Andere Länder wurden nicht so gefordert, mit der Folge, dass heute reputierlichste Banken Europas in massiven Problemen mit Geldwäschefällen stecken. Bei der Geldwäscheprävention sind wir nicht mehr die Schmuddelkinder, sondern gelten international als Vorrreiter.

STANDARD: Verändert das dann auch die Banken?

Ettl: Es hat ihre Geschäftspolitik verändert. Es gibt heute weniger Off-Shore-Konten und gar keine Back-to-back-Geschäfte mehr (Unternehmen gibt einer Bank eine Geldanlage, die leitet sie ans Unternehmen oder eine Tochtergesellschaft zurück, Anm.). Die Präventionsmaßnahmen kosten die Banken natürlich auch Geld. Daher sind sie in Bezug auf Kryptoassets und elektronischer Börse sehr zurückhaltend, weil der Kundenidentifikationsprozess so schwierig und teuer ist.

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Facebook will eine eigene Währung etablieren. Eine Vorhaben, das weltweit auf viel Kritik stößt.
Foto: Reuters/Dado Ruvic

STANDARD: Wie beurteilen Sie denn eigentlich den Plan von Facebook, eine eigene Währung, Libra, einzuführen?

Ettl: Wir müssen uns die Frage stellen, warum ein Privater etwas schaffen will, das wie eine weltweite Währung aussieht. Was ist falsch gelaufen in unserem weltweiten Währungssystem, auf dass solche Ideen entstehen? Das ist auf europäischer Ebene, aber auch auf Ebene der G7 zu besprechen und zu untersuchen – bevor so etwas zugelassen wird. Denn da entstehen private Monopole, die es in solch sensiblen Bereichen nicht geben darf. Stellen Sie sich vor, der weltweite Zahlungsverkehr wird unterbrochen: Das ist, als stehe der menschliche Blutkreislauf still. Da müssen Öffentlichkeit und Politik ein Auge drauf haben. Das muss einer strengen Regulierung und Aufsicht unterworfen werden. (Renate Graber, 28.7.2019)