Der Tatverdächtige Stephan E. (re.) nach einem Haftprüfungstermin beim deutschen Bundesgerichtshof.

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Ein Transparent auf einer Demonstration in Berlin nach dem Mord an Walter Lübcke.

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Die Präsidenten der deutschen Sicherheitsbehörden warnen vor einer wachsenden Gefahr rechtsextremer Gewalttaten, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke Anfang Juni ermordet wurde. Der "Spiegel" berichtete am Freitag über ein vertrauliches Protokoll einer Sondersitzung des Bundestag-Innenausschusses zum Mordfall Lübcke.

Laut dem Papier von Ende Juni warnte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, vor einer "neuen Dynamik im Bereich Rechtsextremismus". Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts, sprach von dringendem Handlungsbedarf und meinte, dass die Gefahr nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit gewachsen sei.

Verdachtsmomente in zweitem Fall

Im Fall des Mordes an Walter Lübcke wird von einer rechtsextremen Motivation ausgegangen. Der mutmaßliche Täter Stephan E. gestand die Tat zunächst und gab als Motiv an, sich über eine Aussage Lübckes zur Flüchtlingspolitik geärgert zu haben. Im Oktober 2015 hatte der CDU-Politiker auf einer Bürgerversammlung zu den Gegnern einer geplanten Flüchtlingsunterkunft gesagt: "Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er will." Der Tatverdächtige hat sein Geständnis jedoch inzwischen widerrufen. Er befindet sich in Untersuchungshaft.

Wie am Donnerstag – ebenfalls vom "Spiegel" – berichtet wurde, hätten sich jüngst jedoch neue Verdachtsmomente ergeben. Unter Berufung auf nicht genannte Quellen wurde berichtet, dass gegen den mutmaßlichen Täter im Mordfall Lübcke nun auch wegen eines bisher ungeklärten Delikts aus dem Jahr 2016 ermittelt wird. Damals war in Kassel ein 22-jähriger Asylwerber aus dem Irak von einem Fahrradfahrer von hinten niedergestochen worden. Der Flüchtling wurde dabei schwer verletzt und musste notoperiert werden. Die Polizei ermittelte wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung, der Täter konnte jedoch nie ausgeforscht werden.

Nun soll im Zusammenhang mit diesem Fall das Haus von Stephan E. durchsucht worden sein. Wie die Ermittler die Verbindung zwischen E. und dem ungeklärten Fall herstellten und welche konkreten Verdachtsmomente gegen ihn bestehen, bleibe laut "Spiegel" zunächst noch unklar.

Eine Reihe rechtsextremer Gewalttaten

Doch auch abseits der mutmaßlichen Verstrickungen von Stephan E. in rechtsextreme Gewalttaten ist die Lage in Deutschland derzeit angespannt. Erst am Montag schoss ein ebenfalls rechtsextremer Täter, Roland K., in Wächtersbach in Hessen einen Mann aus Eritrea an, bevor er sich selbst das Leben nahm. Er soll einen Abschiedsbrief hinterlassen haben, auf dem ein Koppelschloss – eine zu einer Uniform gehörende Gürtelschnalle – mit einem Hakenkreuz und dem Motto der SS gelegen habe.

In der Nacht auf Mittwoch wurde zudem im ostdeutschen Zwittau ein Sprengstoffanschlag auf die Wohnung der Linke-Politikerin Ramona Gehring verübt. Dabei entstand erheblicher Sachschaden, verletzt wurde aber niemand. Gehring selbst vermutet ebenfalls rechtsextreme Täter hinter dem Anschlag. Auch mehrere im Internet kursierende "Todeslisten" rechtsextremer Gruppen werden in Deutschland derzeit heftig diskutiert. (Ricarda Opis, 26.7.2019)