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Auf der Hallig Hooge in der Nordsee bereitet man sich auf künftige Sturmfluten vor. Das schützt auch das Festland.

Foto: Thomas Linkel / laif / picturedesk.com

Langsam gräbt sich die Schaufel des Baggers in den Sand. Es staubt und lärmt und passt eigentlich gar nicht in die Idylle. Auf Hallig Hooge, einem kleinen Eiland vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, hört man normalerweise bloß das Meer, den Wind, das Gekreische der Vögel und das Blöken der Schafe.

Doch seit einiger Zeit sind die Bagger da, bringen Schiffe Unmengen Sand über das Meer, es wird vermessen und gegraben. "Das verdanken wir dem Klimawandel. Den spüren wir hier auf den Halligen nämlich als Erste", sagt Bürgermeisterin Kaja Just. Sie hat beobachtet: "Die Stürme werden mehr und heftiger. Und sie kommen im Herbst immer früher. Der Klimawandel bedroht nicht nur Inseln in der Südsee, sondern auch uns hier."

Fluten schaffen Lebensraum

Seit Jahrhunderten leben die "Halliglüüd" im Wattenmeer mit dem Wetter. Es bringt ihnen in den Wintermonaten "Land unter". Dafür muss man sich manche der zehn Halligen, auf denen rund 300 Menschen wohnen, wie Suppenteller vorstellen. Die Nordsee schwappt bei Stürmen über den Deich und setzt das Land oft tagelang unter Wasser. Inseln werden, im Gegensatz zu Halligen, nicht überschwemmt. Doch das Meer, das sich immer wieder über die Halligen ergießt, ist nicht das Problem. Im Gegenteil: Nur so entsteht überhaupt der salzige Lebensraum für eine weltweit einzigartige Flora und Vogelwelt im Wattenmeer, das 2009 Unesco-Weltnaturerbe wurde. Irgendwann zieht sich das Wasser ja auch wieder zurück, und dann geht alles seinen gewohnten Gang – oder eben nicht.

Denn immer öfter kommt das Wasser gefährlich nahe an die Warften heran. Das sind jene künstlich aufgeworfenen Erdhügel, auf denen sich ein paar Meter über dem Meeresspiegel ein paar Häuser zusammenducken und eine Minisiedlung bilden.

Der Meeresspiegel steigt

"Aber wenn der Meeresspiegel steigt und die Stürme immer stärker werden, dann reichen diese nicht mehr", sagt Just. Grünen-Chef Robert Habeck warnte schon vor Jahren als Landwirtschaftsminister in Kiel: "Das Wattenmeer wird ertrinken."

Wie sich das Wattenmeer infolge des Klimawandels entwickeln könnte, wird im fünften UN-Weltklimabericht in zwei Szenarien dargestellt. Im "gemäßigten", wenn also Treibhausgasemissionen reduziert werden, ist von einem Anstieg des Meeresspiegels um 20 Zentimeter bis 2050 und um 50 Zentimeter bis 2100 die Rede. Das zweite Szenario basiert auf der Annahme, dass nichts passiert. Dann würde der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert noch um 80 Zentimeter steigen.

Nun hat das Land Schleswig-Holstein reagiert und für 30 Millionen Euro das Programm "Hallig 2050" aufgelegt. Nach und nach werden die Warften um bis zu 120 Zentimeter auf 5,8 Meter angehoben. Die "Hanswarft", mit Kiosk, Museum, Gemeindebüro, Wohnhäusern quasi "Hauptstadt" auf Hooge, ist als Erstes dran.

Ohne Schutz gehen die Jungen weg

"Der Schutzwall wird schon sehr hoch", sagt Maren Bendixen und sieht nicht besonders glücklich aus. "Aber er ist wichtig", fügt sie hinzu. Viele Stürme hat die 80-Jährige auf Hooge erlebt, gemeinsam mit Tochter Klaudia führt sie Gäste durch die größte private Attraktion auf Hooge: Ihr altes friesisches Kapitänshaus mit 5.338 blauen Delfter Kacheln und liebevoll gepflegter Originaleinrichtung aus dem 18. Jahrhundert.

In siebenter Generation lebt Bendixen hier, und sie erinnert sich an ein altes Credo in ihrer Familie: "Wer nicht deichen will, muss weichen."

Klaudia Bendixen, die in Friesentracht Besucher empfängt, ist überzeugt: "Wenn wir den Schutz nicht ausweiten, gehen noch mehr junge Leute weg." Viele sind ohnehin nicht mehr hier, zu mühsam ist ihnen das Leben mitten im Meer, wo es nur einen Laden und nicht einmal einen Arzt gibt.

100 Menschen leben noch auf den zehn Warften von Hooge. Da und dort, vor allem auf dem Festland, hört Bürgermeisterin Just gelegentlich die Klage, dass die "Aufwarftung" schon sehr teuer und ein großer Aufwand für den Schutz für so wenige sei, die 18 Kilometer von der Küste entfernt inmitten der Natur ausharren.

Nicht nur Museumswelt

Da wird sie dann sehr bestimmt und sagt: "Es geht nicht darum, eine Museumswelt zu bewahren. Vom Schutz, den wir hier errichten, profitieren auch die Menschen am Festland."

Denn die Halligen sind "Wellenbrecher" vor dem Festland. Ließe man sie zerbröseln und untergehen, dann würde das Wasser bei Sturm ungebremst auf die Küste Schleswig-Holsteins zurasen und Verwüstungen anrichten.

Dass das Schicksal der Halligen und jenes der vermeintlich sicheren Küste zusammenhängen, hat Maren Bendixen schon bei der Jahrhundertsturmflut im Jahr 1962 bemerkt: "Als auf dem Festland die Deiche brachen, rauschte bei uns auf Hooge das Wasser ab."

Sandsäcke vor der Haustür

Ans Weggehen hat sie, trotz vieler Sturmfluten, nie gedacht: "Hier ist wirklich noch ein Stückchen heile Welt. Jeder kennt jeden, wir sind eine sehr enge Gemeinschaft." Was zu tun ist, wenn das Wasser mit aller Macht über die Hallig hereinbricht, weiß sie seit Jahrzehnten: "Man muss ruhig bleiben und Sandsäcke vor die Haustür stellen."

Katja Just ist dennoch froh, dass auf Hooge nun mit der Aufwarftung begonnen wurde. Ihr eigenes, 300 Jahre alte Haus auf der Ockenswarft ist jedoch erst in einigen Jahren dran. Bis dahin denkt sie bei jedem "Land unter" automatisch: "Was muss ich zur Not in den ersten Stock retten?" (Birgit Baumann von der Hallig Hooge, 28.7.2019)