Eine konkrete Folge des Klimawandels: Die 3.234 Meter hohe Dockscharte in der Glocknergruppe (hier mit der Hohen Dock im Hintergrund) ...

foto: thomas neuhold

... ist sommers schon häufig eis- und schneefrei (hier mit dem Großen Bärenkopf im Hintergrund).

foto: thomas neuhold

Der Normalweg auf den Großglockner über das sogenannte Glocknerleitl nur mehr eine Schotterrinne; der früher übliche Anstieg auf den Dachstein von einer gewaltigen Spalte unterhalb der Randkluft abgeriegelt; am Ende des Obersulzbachkees im Venedigergebiet ist der Gletschersee so angewachsen, dass die Bergrettung ein Ruderboot stationiert hat.

Die Liste der Berichte von Berufsbergsteigern über dramatische Veränderungen in der heimischen Bergwelt geht längst ins Unüberschaubare. Und sie durchzieht alle höheren Gebirgsgruppen der Alpen: Viele Routen gibt es nicht mehr, andere sind durch die Ausaperung und den damit verbundenen Steinschlag brandgefährlich geworden. Nur vereinzelt sind hohe Gipfel nun "einfacher" zu erreichen.

Glockner Normalweg

Österreichs höchster, der 3.798 Meter hohe Großglockner, ist ein schönes Anschauungsbeispiel für die Entwicklung. Hier betreibt der Österreichische Alpenklub (ÖAK) mit der Erzherzog-Johann-Hütte auf der Adlersruhe Österreichs höchstgelegene Schutzhütte.

Schon der Zustieg zur Hütte hat sich dramatisch verändert. "Der alte Standardanstieg über die Pasterze und das Hofmannskees ist nur mehr im Frühjahr begehbar. Durch den Eisrückgang ist ein Überqueren der Pasterze mühsam geworden und erfordert einen großen Umweg. Der Gletscher selbst ist sehr steil geworden und außerdem bei Ausaperung steinschlaggefährdet", sagt Christian Zinkl, Präsident des Alpenklubs.

Auch der Anstieg auf den Glockner selbst habe sich verändert: "Der Normalweg über das Leitl wird schwieriger, weil das Eis steiler wird und das Leitl zeitweise zu einem Schotterhang verkommt." Andere Anstiege wie beispielsweise die legendäre Pallavicinirinne seien inzwischen "reine Frühjahrstouren". Im Hochsommer sei die Rinne wegen des Steinschlags unbegehbar.

Eistouren verschwunden

Die "Palla", wie sie im Bergsteigerjargon genannt wird, ist immerhin noch zeitweise begehbar. Andere Routen sind gänzlich verschwunden. Prominentes Beispiel: die Wiesbachhorn-Nordwestwand. In der bis dahin nicht bezwungenen Eiswand erprobten 1924 die beiden Münchener Alpinisten Fritz Wiegele und Wilo Welzenbach den ersten Eishaken der Welt. Heute ist die Nordwestwand eine Geröllhalde.

Das 3.564 Meter hohe Große Wiesbachhorn in der Glocknergruppe ist freilich auch ein Beispiel, wie Anstiege technisch einfacher geworden sind. Der Normalweg über den Kaindlgrat war noch vor 25 Jahren ein eindrucksvoller Firngrat. Heute besteht der Kaindlgrat im Sommer aus Fels und Schutt. Sehr routinierte Bergsteiger können, bei guten Bedingungen, das Wiesbachhorn ohne Steigeisen "erwandern".

Schotter ist nicht sicher

Ähnliches gilt beispielsweise für die Hohe Dock und den Bärenkopf in der Glocknergruppe oder auch die Überschreitung des Schrankogel, des zweithöchsten Gipfels in den Stubaier Alpen.

Wobei Günter Karnutsch, Chef des Salzburger Bergsportführerverbandes, vor zu viel Sicherheitsgefühl warnt. Neben dem Steinschlag brächten die Geröll- und Schuttanstiege auch ein höheres Risiko mit sich: Auf dem Schotter könne man sehr leicht abrutschen, warnt Karnutsch.

Extreme Bedingungen

"Die objektiven Gefahren am Berg nehmen zu", sagt er und nennt ein aktuelles Beispiel: Durch den extrem schneereichen Winter 2018/19 und die vielen Lawinen lägen in der legendären Watzmann-Ostwand so viel Steine wie noch nie. Die Steinschlaggefahr sei entsprechend; vermehrte Extremwetterlagen brächten eben auch vermehrt extreme Bedingungen, und die damit verbundene Erosion wirke sich auch auf die Wege in geringeren Höhen oft verheerend aus.

Landkarten stimmen nicht

Im STANDARD-Gespräch betont Karnutsch aber auch andere, für den Laien auf den ersten Blick nicht so schnell sichtbare Folgen der Klimakrise. Durch das enorme Tempo der Veränderungen seien viele Wege nicht mehr oder anders vorhanden, als auf den Landkarten eingezeichnet. Die Landkarten würden oft nicht mehr stimmen.

Dass der Klimawandel am Berg schon Thema war, als sich abgesehen von der Wissenschaft noch kaum jemand für die dräuende Krise interessierte, illustriert Karnutsch an einem Beispiel: Der Abschlusskurs der österreichischen Bergführerausbildung finde bereits seit rund 20 Jahren in den Westalpen statt. In Österreich fände man kaum mehr geeignete Verhältnisse.

Bischofsmütze gesperrt

Allerdings ist nicht alles unmittelbar auf die Klimakrise zurückzuführen. Diese Woche sperrte die Bergrettung den Anstieg auf die Bischofsmütze – mit 2.458 Metern der zentrale Gipfel im Gosaukamm – wegen eines drohenden Bergsturzes. Dass die Mütze "zerbröselt", das sei "immer schon so gewesen", sagt Karnutsch. (Thomas Neuhold, 27.7.2019)