Für Kinder unter fünf Jahren ist Ertrinken die zweithäufigste Todesursache. Nur der Straßenverkehr ist noch gefährlicher.

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Vor rund zwei Jahren sorgte ein vermeintlich harmloser Badeunfall international für Aufsehen und machte einen Begriff weltweit bekannt: sekundäres Ertrinken. Es war Mitte Juni 2017, ein strahlender Sommertag, ideales Badewetter. Eine Familie aus Texas City unternahm einen Ausflug ans Meer. Der vierjährige Sohn spielte am Strand, planschte vergnügt im kniehohen Wasser. Durch eine Welle wurde der Bub unter Wasser gedrückt. Kein Grund zur Sorge, dachten die Eltern. Knapp eine Woche später starb das Kind, es sei im "Bett ertrunken", titelten Zeitungen.

Mit der Bezeichnung sekundäres Ertrinken haben Notfallmediziner keine Freude. "Der Terminus sorgt nur für Verwirrung und sollte nicht mehr verwendet werden", sagt Fritz Sterz, stellvertretender Leiter der Universitätsklinik für Notfallmedizin am AKH Wien. Auch Moritz Haugk, Intensiv-und Notfallmediziner vom Krankenhaus Hietzing, plädiert dafür, die Sache beim Namen zu nennen: "Es handelt es um Komplikationen, die durch das Einatmen von Wasser entstehen."

Besonders Süßwasser wird von der Lunge rasch aufgenommen, da es einen geringeren osmotischen Druck als das Blut hat. Dadurch wäscht sich ein spezielles Proteingemisch, Surfactant genannt, das in den Lungenbläschen die Oberflächenspannung herabsetzt, aus. Die Lungenbläschen verkleinern sich, sie kollabieren, und der Sauerstoffaustausch funktioniert nicht mehr.

Im Zweifelsfall ins Spital

Grund zur Panik oder übertriebener Sorge im Schwimmbad oder am Badesee ist laut Haugk nicht angebracht: "Wenn ein Kind kurz mit dem Kopf untertaucht und etwas Wasser einatmet, passiert in der Regel überhaupt nichts." Jene Menge, ab der es gefährlich wird, liegt dem deutschen Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) zufolge bei zwei Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Die Lunge eines 20 Kilo schweren Kindes kann demnach maximal 40 Milliliter Flüssigkeit resorbieren – das entspricht etwa vier Esslöffel Wasser. Ein größeres Flüssigkeitsvolumen kann innerhalb von 24 bis 48 Stunden ein Lungenödem auslösen.

In schweren Fällen kommt es zu einer sogenannten Hypoxämie, der Körpers wird nicht mehr mit sauerstoffreichem Blut versorgt, die Organe versagen. Anzeichen eines solchen Sauerstoffmangels sind bläulich verfärbte Lippen und Finger. Oft husten Betroffene ein weißlich-schaumiges Sekret. Häufig erholt sich ein Kind nach einem Badeunfall rasch, und die Welt ist wieder in Ordnung. Wirkt es teilnahmslos und beginnt es nach einiger Zeit erneut zu husten oder flach zu atmen, sollte das Kind in die Notaufnahme gebracht werden. Ohne apparative medizinische Technik lässt sich nicht abschätzen, ob das Wasser in der Lunge einen Schaden angerichtet hat. "Für eine Diagnose sind ein Lungenröntgen und die Überwachung des Sauerstoffgehalts im Blut notwendig", erklärt Haugk. Wird der Zustand des Patienten kritisch, muss er an die Herz -Lungen-Maschine angeschlossen werden.

Sekundäres Ertrinken kennt Erik Teumann, Leiter der Wasserrettung des Arbeiter-Samariter-Bunds Österreich, nur von Notfällen, bei denen Menschen beinahe ertrunken sind, aus dem Wasser geborgen und erfolgreich wiederbelebt wurden. In sehr seltenen Fällen lässt sich das Phänomen auch bei Kindern beobachten, die vor dem Ertrinken gerettet wurden, aber nicht bewusstlos waren." Selbst wenn das Kind danach unauffällig wirkt, sollte es ins Krankenhaus gebracht und mindestens 24 Stunden beobachtet werden", betont Haugk.

Keine Angst vor Fehlern

In Österreich ist Ertrinken nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache von Kindern unter fünf Jahren. Besonders gefährdet sind Kleinkinder, selbst ein Planschbecken wird zum Risiko, wenn sie dort unbeaufsichtigt spielen. Im Notfall zuerst die Atmung prüfen. Ist sie normal, das Kind in die stabile Seitenlage bringen, 144 wählen und regelmäßig die Atmung kontrollieren. Wenn keine normale Atmung vorhanden ist, sofort mit der Wiederbelebung starten. Bei Kindern ab einem Jahr ist eine Mund-zu-Mund-Beatmung möglich, Babys brauchen eine Mund-zu-Nase-Beatmung.

Begonnen wird mit fünf Beatmungen. Wenn das Kind danach keine Lebenszeichen von sich gibt, sofort mit der Herzdruckmassage weitermachen. Als Orientierung für den Druckpunkt denkt man sich eine Linie zwischen den Brustwarzen. Direkt unterhalb dieser gedachten Linie, in der Mitte des Oberkörpers, ist der optimale Druckpunkt. Bei Kindern ab einem Jahr mit einer oder beiden Händen drücken, bei Babys und Säuglingen mit einem oder zwei Fingern. Die Frequenz sollte bei etwa zwei Kompressionen pro Sekunde liegen. Keine Angst vor Fehlern oder Verletzungen, man kann nichts falsch machen, außer untätig zu sein. Nach 30 Kompressionen folgen zwei Beatmungen. Wer allein ist, sollte zuerst eine Minute reanimieren und erst dann den Notruf wählen. (Günther Brandstetter, 29.7.2019)