Im Österreichischen Staatsarchiv lagern rund 240 Regalkilometer Dokumente. Wolfgang Maderthaner war bis Juni Generaldirektor.

Foto: Heribert Corn

Das Staatsarchiv ist eines der bedeutendsten Archive Europas, es enthält Dokumente der Habsburgermonarchie und des Heiligen Römischen Reichs. Geschredderte Festplatten sind hingegen ein eher neues Problem. Mit der Reisswolf-Affäre ist das Staatsarchiv nun ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Eigentlich sollten dort die Verwaltungsakten der Regierungen abgeliefert und für die Nachwelt aufbewahrt werden. Die Realität sieht allerdings oft anders aus, erklärt der pensionierte Generaldirektor Wolfgang Maderthaner.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die hastige Schredderaktion des ÖVP-Kanzleramts?

Maderthaner: Meines Erachtens ist der vorgeschriebene Weg nicht eingehalten worden. Sollte verwaltungsrelevantes Material vernichtet worden sein, dann widerspricht das klar dem Bundesarchivgesetz und hätte eine neue Qualität. Für eine abschließende Beurteilung, ob es illegal war, wissen wir leider zu wenig.

STANDARD: Im Bundesarchivgesetz steht, dass Schriftgut des Kanzlers nach Ausscheiden aus der Funktion unmittelbar dem Staatsarchiv zu übergeben ist. Aber was ist eigentlich "Schriftgut" in Zeiten von Festplatten und Clouds?

Maderthaner: Mit völliger Präzision lässt sich das nie sagen, weil sich durch die ständige technologische Umwälzung die Bedeutung eines Begriffes wie "Schriftgut" ständig weiterentwickelt. Im Denkmalschutzgesetz wird jedoch klipp und klar dargelegt, dass Aufzeichnungen auf elektronischen Informationsträgern zum Schriftgut gehören.

Ex- Generaldirektor Wolfgang Maderthaner mit seinem Kollegen Thomas Just (rechts), der die Abteilung Haus-, Hof-und Staatsarchiv am Minoritenplatz leitet
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Was hätte das Staatsarchiv mit einer Druckerfestplatte überhaupt anfangen können? Der Verwaltungsjurist Peter Bußjäger schreibt, eine solche Festplatte sei "archivrechtlich irrelevant", weil die Daten unstrukturiert und damit nutzlos sind.

Maderthaner: Diese These halte ich für kühn und hinterfragenswert. Wir haben im Staatsarchiv große Anstrengungen unternommen, um elektronische Datenträger zu konservieren und uns zu überlegen, wie wir Daten auf neuere Technologiestufen migrieren können, damit man die Informationen auch in Zukunft auslesen kann. Allein die Maßnahmen, um elektronische Unterlagen einbruchssicher aufzubewahren, bedeuten einen Riesenaufwand.

STANDARD: Sie hätten die geschredderten Festplatten also übernommen, wenn Sie Ihnen unversehrt angeboten worden wären?

Maderthaner: Ja, wahrscheinlich schon.

STANDARD: Vermutlich stammen die Festplatten ja aus einem Drucker. Müsste nicht ohnehin alles relevante Schriftgut in ordentlichen Akten stehen, die dem Staatsarchiv separat übergeben werden?

Maderthaner: Wenn im Ministerium korrekt vorgegangen wurde, dann ist das der Fall. Die Betonung liegt auf "wenn".

STANDARD: Sie gehen nicht davon aus?

Maderthaner: Die Erfahrung zeigt, dass der Gesetzestext oft nicht eingehalten wird und Schriftgut nicht in dem Umfang übergeben wird, wie es angebracht wäre.

STANDARD: Was kann das Staatsarchiv dagegen tun?

Maderthaner: Nichts. Es gibt derzeit schlichtweg keine Sanktionsmöglichkeit, und das Staatsarchiv kann nicht prüfen, ob alles abgeliefert wird.

STANDARD: Wer übergibt eigentlich nach einem Regierungsende das Schriftgut an das Staatsarchiv?

Maderthaner: Das ist nicht einheitlich, meistens machen's aber die Kabinettschefs.

STANDARD: Was passiert dann?

Maderthaner: Da es sich bei Verwaltungsakten um sensible Materien handelt, bei denen vielfach ein Interesse an Geheimhaltung besteht, dürfen Archivare in das Schriftgut nicht Einsicht nehmen. Wir müssen es 25 Jahre lang versiegelt aufbewahren, erst dann können wir es sichten und bewerten. Zwischenzeitlich dürfen ausschließlich die betreffenden Minister in ihre ehemaligen Akten Einsicht nehmen.

STANDARD: Ist das je vorgekommen?

Maderthaner: Ja, öfter, als Sie glauben! Insbesondere rund um die Eurofighter-Causa waren immer wieder Minister da, die sich alte Akten haben ausheben lassen.

STANDARD: Was würden Sie sich für die Zukunft des Staatsarchivs wünschen?

Maderthaner: Zum einen sollte man die technologische Revolution der letzten zwei Jahrzehnte im Bundesarchivgesetz abbilden und präzisieren, was heutzutage ein Verwaltungsakt ist. Vor allem wäre es an der Zeit, das Staatsarchiv vom Bundeskanzleramt abzukoppeln und unabhängig zu machen. Das Staatsarchiv sollte selbstverantwortlich über sein Budget entscheiden können.

(Theo Anders, 27.7.2019)