Wenn Spitzenpolitiker im Wahlkampf durch eine Stadt touren und – wie ihre Berater es nennen – mit den "Menschen da draußen" in Kontakt treten, kommt es irgendwann fast immer zu diesem Moment, in dem klar wird: Das echte Leben ist inszenierungsresistent. Pressesprecher erstarren dann zumeist – in der Hoffnung, das Geschehene wurde vielleicht von sonst niemandem registriert. Journalisten, insofern sie aufmerksam waren, freuen sich diebisch und wissen, mit welcher zumeist etwas peinlichen Anekdote sie ihre Reportage einleiten werden.

Die rote Tour durch Graz startete auf dem Bauernmarkt am Lendplatz.
Foto: Alexander Danner

Als Pamela Rendi-Wagner diese Woche zu Besuch in Graz war, trug sich eine solche Szene bereits am Vormittag zu: Die SPÖ-Chefin spazierte schon eine gute halbe Stunde lang über den Bauernmarkt auf dem frisch gentrifizierten Lendplatz, da sieht sie einen Stand mit wunderschönen knallroten Tomaten. Kurzerhand startet sie hin. Hinter ihr her Fotografen, ein Kamerateam für einen Imagefilm, mehrere Lokaljournalisten sowie SPÖ-Landespolitiker und ihre eigenen Leute.

"Gar nicht fürs Foto, sondern wirklich" wolle sie schnell Gemüse kaufen und am Abend mit nach Wien nehmen, erklärt Rendi-Wagner. Außer einem Kilo Paradeiser bestellt sie auch drei kleine Gurken und gibt sie der zuständigen Bäuerin. Die greift unter die Budel und kramt ein Papiersackerl hervor. Da verfällt die rote Entourage in eine kurze Schockstarre.

Türkises Gemüse

Die Landwirtin, unbeirrt, packt das Gemüse ein. Doch bald besinnt sich jemand: "Nein. NEIN!" Das Sackerl, das sie Rendi-Wagner gleich in die Hand drücken will, ist nicht nur türkis, es steht auch noch groß "Team Volkspartei" darauf. "Entschuldigung, das geht nicht", erklärt Rendi-Wagner freundlich. Die Bäurin weiß im ersten Moment nicht recht, wie ihr geschieht, das Sackerl war halt gerade da, ein anderes habe sie nicht. Ihre Kollegin treibt dann aber doch noch ein weißes auf.

"Eigentlich eine gute Idee mit so Parteisackerln, sollten wir auch andenken", witzelt die Chefsozialdemokratin später, als sie den Vorfall selbst rekapituliert.

Graz war die 14. Station der SPÖ-Chefin diesen Sommer. Jetzt hat sie dann für ein paar Tage Urlaub.

Rendi-Wagner hat in den vergangenen Tagen und Wochen Tritt gefasst. Es ist noch nicht lange her, da wurde sie laufend infrage gestellt, von Journalisten, von Gegnern, von ihrer eigenen Partei. Sie blieb, aber natürlich hinterlässt das Spuren. Die Quereinsteigerin galt als unsicher und vor allem auch inhaltlich nicht sattelfest. In die SPÖ trat die promovierte Medizinerin vor zwei Jahren ein – wenige Tage vor ihrer Angelobung als Gesundheitsministerin.

Verkrampftes Formulieren

Menschen aus ihrem Umfeld beschreiben Rendi-Wagner als feinfühlige Perfektionistin. Zur Hochform laufe sie auf, wenn sie Bestätigung bekomme. Und die blieb lange aus. Ein Schlüsselmoment ihrer Karriere als Parteichefin war deshalb vermutlich, als sie, rund vier Wochen nachdem sie die SPÖ übernommen hatte, in der ZiB2 erklärte, dass Vermögenssteuern für sie "gerade kein Thema" seien. Mehr hatte es nicht gebraucht. Sämtliche Parteigranden rückten aus: Natürlich seien Vermögenssteuern ein Thema für die Sozialdemokratie. Und das immer.

Was sie da schnell und schmerzhaft lernte: lieber vorsichtig sein. Von diesem Zeitpunkt an wurde Rendi-Wagner in politischen Analysen gerne als "übercoacht" beschrieben, weil sie so unlocker formuliere.

Die SPÖ betont, keine Situationen zu stellen. Kamerateams, Fotografen, Journalisten und eine rote Entourage folgen Rendi-Wagner aber bei jedem Schritt.
Foto: Alexander Danner

Unterwegs auf ihrer Bundesländertour merkt man davon nichts mehr. Reden mit "den Menschen da draußen" kann die langjährige Spitzenbeamtin überraschend gut. Sie lacht, erklärt und hört zu. Zwischen Kisten mit Fenchel und Gläsern voller Essiggurken schlängelt sie sich in Graz von Marktstand zu Marktstand und fragt jeden, der ihr unterkommt, wo denn der Schuh drückt. Zwei Studentinnen macht sie ihr österreichweit angedachtes Öffiticket schmackhaft; einem Jungvater erklärt sie, warum gerade Kinder günstigen Wohnraum brauchen und deshalb die Mehrwertsteuer auf Mieten fallen müssen; mit den Pensionistinnen spricht sie über Pflege.

Halbwegs ungezwungen

Am Vorabend ist sie gerade wieder in der ZiB2 gesessen. Auch da fiel schon auf, dass sie endlich wieder so spricht, wie man das als Gesundheitsexpertin und Ministerin von ihr gewohnt war: halbwegs ungezwungen. Vermögenssteuern? Klar, aber im Rahmen eines Gesamtkonzepts, wie unser Steuersystem gerechter werden könne, sagt sie heute. Noch vor der Wahl will die SPÖ ein entsprechendes Programm präsentieren.

"Die Pam ist jetzt im Wahlkampfmodus angekommen", findet einer aus ihrem Team. Man habe erkannt: Zu viel Beratung tut Rendi-Wagner gar nicht gut. Man müsse sie einfach machen lassen. Direkt vor größeren Auftritten werde sie nun nicht mehr gebrieft, sondern in Ruhe gelassen. "Wir geben ihr da zwei Stunden nur für sich. Sie braucht kein Training, sie soll einfach frei reden."

Wertvolle Plattitüde

Die roten Landesparteichefs waren es gewesen, die Rendi-Wagner öffentlich aufgetragen hatten, mehr hinauszugehen und durchs Land zu fahren. Den "Menschen da draußen" zuzuhören ist nicht nur Beratersprech, sondern gerade in Krisen die von Parteien gerne ausgerufene Lösung. In der Regel handelt es sich um eine Luftblase. Im Fall von Rendi-Wagner entpuppt sich die Direktive nun als wertvoller Tipp. Weniger deshalb, weil die SPÖ nun die guten Ideen aus dem Volk aufgreifen wird – denn das wird sie wohl nicht. Aber Rendi-Wagner schärft derzeit tagtäglich in Gesprächen ihre politische Argumentation. Im September stehen dutzende TV-Konfrontationen an. Und so unverblümt, wie manche Bürger auftreten, sind wenige Journalisten.

Pamela Rendi-Wagner mit ihren lokalen Genossen beim Schilchersekt.

Auch trifft sie regelmäßig auf Leute, die sie – wie politische Gegner – niemals wählen würden und wohl auch nicht besonders mögen. Ein steirischer Landwirt verweigert ihr nach einer kurzen Diskussion sogar den Handschlag. "Trotzdem einen schönen Tag", wünscht Rendi-Wagner. Sie hat sich inzwischen eine dickere Haut zugelegt.

Die Rechten verhindern

Eine ältere Frau, die sich als "Oma gegen rechts" vorstellt, will hingegen wissen, ob die SPÖ denn wirklich noch Erster werden könne. "Ohne Glück geht's nicht, aber wir arbeiten fleißig daran", antwortet die rote Parteichefin lächelnd. Auch in der Sozialdemokratie glaubt freilich niemand ernsthaft, dass man Sebastian Kurz noch überholen werde – aber nach dem Ibiza-Skandal und der aktuellen Schredder-Affäre steigt die Hoffnung, man könne vielleicht doch an ihn herankommen.

Ob Rendi-Wagner mit Werner Kogler koalieren würde, fragt eine Grünwählerin. Den kenne sie und finde sie gut, sagt die SPÖ-Chefin. "Mit dem Werner kann ich auf jeden Fall." Das Wichtigste sei es, die Rechten zu verhindern, erzählt sie einem jungen Mann. Dazwischen lässt sie Selfies mit sich machen und tätschelt Hände. Graz ist ihre 14. Station in Österreich diesen Sommer.

Urlaub in Jesolo

Kommende Woche fährt Rendi-Wagner dann mit ihrer Familie für ein paar Tage auf Urlaub: Jesolo, der heimische Ferienklassiker. Noch immer kämpft die Sozialdemokratin, die mit einem Diplomaten verheiratet ist, mit dem Image, Teil der besseren Gesellschaft zu sein – auch innerhalb der Partei.

In der steirischen Landeshauptstadt hatte sie während ihres rund 13-stündigen Tourtages nur eine kurze Pause. Mit einer Grazer Genossin mogelt sie sich zwischen einem Interviewtermin und einem Wählertreffen in das Geschäft der österreichischen Designerin Lena Hoschek. Gekauft hat sie nichts, nur geschaut. (Katharina Mittelstaedt, 27.7.2019)