Die in den 1980er-Jahren erbaute BWSG-Wohnhausanlage in der Wiener Marxergasse sieht proper und modern aus, die Bausubstanz ist allerdings verbesserungsfähig.

Foto: Andy Urban

Sie kamen um sieben Uhr früh. Fünf Beamte des Landeskriminalamts begehrten Einlass in die Wohnung des langjährigen Chefs der Eisenbahnergewerkschaft, Wilhelm Haberzettl, der 2011 in den Vorstand der Gemeinnützigen allgemeinen Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft BWSG gewechselt war.

Am frühen Morgen des 17. Juli durchsuchten die Kriminalbeamten im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht nur Haberzettls Wohnung, Keller, Garage und Auto, sondern auch die seines damaligen Co-Geschäftsführers und eines Prokuristen der BWSG. Sie stehen unter Verdacht der Untreue, sollen laut Anzeige der BWSG Wohnungen und Liegenschaften in der Wiener Marxergasse und in der Treustraße unter Wert verkauft und damit die im Volksmund Eisenbahnergenossenschaft genannte BWSG um mindestens 2,5 Millionen Euro geschädigt haben. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, für alle gilt die Unschuldsvermutung.

Büros und Wohnungen durchsucht

Gefilzt wurden in der konzertierten Aktion laut Insidern auch Büros und Wohnungen von weiteren in die Transaktionen involvierten Personen, darunter Gutachter und mit den Wohnungsverkäufen befasste Aufsichtsratsmitglieder der BWSG-Gruppe. Darüber hinaus hat der Staatsanwaltschaft laut STANDARD-Recherchen Kontoöffnungen beantragt und vom Gericht genehmigt bekommen – nicht nur bei den gefeuerten BWSG-Managern, sondern auch bei den Proponenten jenes Konsortiums, das der BWSG bzw. deren Tochter WBG die Wohnungen im Vorjahr verkauft hat.

Haberzettls Anwalt, Norbert Wess, bestätigt, dass bei seinem Mandanten eine behördliche Nachschau stattgefunden hat und ein Antrag auf Kontenöffnung vorliege. Sachlich gerechtfertigt sei die von der BWSG beantragte Hausdurchsuchung keineswegs: "Es ist überhaupt nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Beschuldigten zu billig verkauft hätten", sagt Wess, "es gibt kein Motiv und keinen Profit."

Laut BWSG-Darstellung sollen die früheren Organe die BWSG in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Käufern und Sachverständigen geschädigt haben, heißt es in der 206 Seiten starken Sachverhaltsdarstellung, die von der BWSG im März bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht wurde.

Viele Ungereimtheiten

Die darin geschilderte Vorgeschichte ist ebenso kompliziert wie reich an Ungereimtheiten. Demnach lag für den sanierungsbedürftigen Wohnhauskomplex Marxergasse/Geusaugasse bereits Anfang 2017 ein Kaufanbot eines nicht näher genannten Investors über 20 Millionen Euro vor, das von BWS-Chef Haberzettl aber "aus nicht nachvollziehbaren Gründen" abgelehnt worden sei, wie es in der Anzeige heißt.

Am 26. November 2017 bot der spätere Käufer SWRT 13,5 Millionen Euro für das Objekt, dessen Wohnungen zu diesem Zeitpunkt bereits teilweise an die Mieter verkauft, teilweise gemäß Gemeinnützigkeitsgesetz vermietet waren. Das Ungewöhnliche am Angebot: Der Kaufpreis lag nur eine halbe Million über dem Verkehrswertgutachten, das erst auf zwei Tage nach Angebotslegung datiert ist. Erstellt wurde es von einem Immobilienfachmann, der mit der BWSG in langjähriger Geschäftsverbindung stand.

Gutachter an Bord

Dann ging es Schlag auf Schlag: Die BWS-Tochter WBG teilt den Käufern R. und S. bereits sieben Tage später mit, dass ihr verbindliches Anbot vom 26. November angenommen wird. Ihre Projektgesellschaft lassen die Bieter aber erst Mitte Jänner 2018 im Firmenbuch eintragen. Und siehe da: Der Liegenschaftsgutachter ist plötzlich an Bord dieser Projektentwicklungsgesellschaft des Käuferkonsortiums, das nach Beschluss durch die BWSG-Gremien am 11. Juni 2018 letztlich für 13,266 Millionen Euro den Zuschlag erhält. Als das Naheverhältnis ruchbar wird, engagiert die BWSG im April 2018 einen neuen Gutachter, der das Wohnhausobjekt Mitte Mai auf 15,5 Millionen Euro taxiert.

Die Käuferseite erklärt die Punktlandung beim Kaufpreis mit unbefristeten Mietverträgen gemäß Gemeinnützigkeitsgesetz in der Wohnanlage und notwendigen Sanierungsarbeiten. Letztere seien im Volumen von 1,2 Millionen Euro zugesagt und seien daher zum Kaufpreis hinzuzurechnen. Grundsätzlich seien die Ertragsmöglichkeiten mit einem Gemeinnützigen Wohnhaus beschränkt, eine Refinanzierung des Kaufpreises sei einzig über den Verkauf einzelner Wohnungen an Mieter, Kleinanleger oder Investoren möglich.

22 Millionen problematisch

Jene 22 Millionen erzielbar, die der BWSG im Mai 2018 von einem Investor angeboten wurden, wären nur bei einem Einzelverkauf aller Wohnungen zu erzielen. Es standen von der Liegenschaft Marxergasse allerdings nur mehr 68 Prozent der Fläche zum Verkauf, nicht das ganze Objekt. Der Rest war bereits von der BWSG an Mieter verkauft worden.

BWSG-Kapitalvertreter qualifizieren das 22-Millionen-Anbot überhaupt als unseriös, weil rückdatiert und fehlerhaft. So viel würden nur Profiabsiedler zahlen, die Mieter traktierten und hinausekelten. Solche Investoren stünden einer von der Gewerkschaft kontrollierten Gesellschaft nicht gut an. (Luise Ungerboeck, 27.7.2019)