Bei Demonstrationen in Moskau ging die Obrigkeit hart gegen die Teilnehmer vor.

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Seit Wochen protestiert die Opposition gegen den Ausschluss bei den Wahlen zur Moskauer Stadtduma im Herbst – und die Polizei nimmt eifrig Demonstranten fest. Dieses Mal gingen die Sicherheitsorgane härter denn je vor. Selbst nach offiziellen Angaben nahm die Polizei mehr als tausende Personen fest, die Bürgerrechtsseite OWD-Info zählte sogar 1.373 Festnahmen.

Zahlreiche Oppositionsführer wurden in Gewahrsam genommen, um den Protest kopflos zu machen, doch eigentlich zeugt das Handeln des Kremls selbst von Kopflosigkeit. Denn während die Polizei Härte demonstriert, flüchtet Präsident Wladimir Putin aus dem heißen Moskau in die kalte Ostsee. Dass das russische Fernsehen ihn ausgerechnet beim Abtauchen zeigte, hat ungewollte Symbolkraft. Diesmal fischte Putin zwar nicht, wie vor Jahren einmal, nach Amphoren, sondern begutachtete ein sowjetisches U-Boot-Wrack, doch mit den aktuellen Problemen der Russen, denen er angeblich auf den Grund gehen wollte, hat sein Tauchgang nur sehr wenig gemein.

Drei Wahlpleiten in Erinnerung

Dass das Staats-TV zugleich die Proteste völlig ausblendete, ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass die Obrigkeit sprachlos ist. Dabei ist das Problem hausgemacht, denn die Zulassung der Kandidaten hätte sicher keinen politischen Erdrutsch ausgelöst. Möglicherweise wären einige Abgeordnetensitze bei der Opposition gelandet, doch die Mehrheit in der Stadtduma hätte sie kaum übernommen. Außerdem hat das Moskauer Parlament kaum Befugnisse. Doch offensichtlich waren den Taktikern der Kremlpartei Einiges Russland die drei Wahlpleiten im Herbst noch in unguter Erinnerung. Sie befürchteten wohl einen Domino-Effekt und wollten auf Nummer sicher gehen.

Angst aber ist ein schlechter Berater. Der Wahlausschluss hat erst recht die Proteste provoziert. Nun verheimlicht sie das Fernsehen aus Angst vor Nachahmung. Auf Dauer kann die Vertuschungstaktik nicht gutgehen. Das TV hat längst sein Monopol bei der Meinungsbildung verloren. Nichts fürchtet der Kreml mehr als einen Maidan im eigenen Land. Davon sind die friedlichen Proteste in Moskau auch weit entfernt, denn noch ist es nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der protestiert. Der Unmut aber nimmt in der ganzen Bevölkerung zu. Der Kreml kann sich nicht auf Dauer zu Problemen in Schweigen hüllen, sondern muss Antworten finden. Mit Brutalität und Ignoranz provoziert die Obrigkeit nur ihr eigenes Horrorszenario. (André Ballin, 28.7.2019)