Die Gnade der Götter wird herbeigesehnt. Am Ende wird sie Idomeneo (Russell Thomas, li.) zuteil.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Die Bühne in der Felsenreitschule stellt ein mit Plastik verschmutztes Meer dar.

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Zum Schluss noch eine Art Uno-Vollversammlung abseits sozialer Hierarchien: Damen mit Kopftuch Hand in Hand mit hochdekorierten westlichen Militärs. Alte und juvenile Könige vereint mit gleichgestellten Untertanen. Personal in Arbeitskleidung neben Göttern, und auch die düstere Elettra ist dabei: Sie hat ihre wütende Verzweiflung über die Zurückweisung durch Idamante bis zum erschöpften letzten Atemzug herausgesungen (phänomenal: Nicole Chevalier). Nun steht sie selbst in der friedlichen Menschenkette, ins Leben zurückgeholt von einer Bewegungschoreografie, die Mozarts Musik mit einem Ritual aus Samoa verband.

"Taualuga" sei der Tanz des Lebens, auch eine Rückholung der Harmonie, heißt es (Choreograf: Lemi Ponifasio). Ausgeführt von Brittne Mahealani Fuimaono und Arikitau Tentau, bildet der Bewegungszauber die Brücke zu Peter Sellars’ Utopie einer idealen Umarmungsgesellschaft, die keine Flüchtlinge, Kriege und Kasten kennt. Das finale Bild zeigt den Globus also in Eintracht und dazu kooperative Götter.

Ökologische Mahnung

Da allerdings Mozarts Idomeneo vom wütenden Meer handelt, implantiert Sellars auch noch Umweltthematik (mit besonderer Berücksichtigung von Plastikmüll) in die Liebesgeschichte zwischen Ilia (sehr delikat: Ying Fang) und Idamante (solide bis angestrengt: Paula Murrihy). Über der friedlichen Gruppe schweben denn auch luftballonartige Gebilde, die Amphoren und Delfine, Riesenplankton, Flaschen und Ölfässer wohl mahnend zum ökologisch tragischen Schreckensmix bündeln sollen.

Nicht ihr erster Auftritt: Die Luftblasengeschöpfe aus Plastik (keine Bange, sie sind recycelbar) erfreuen sich der Dauerpräsenz und sorgen immerhin für eine Art rätselhafte optische Unmittelbarkeit auf der ansonsten recht kahlen Bühne der Felsenreitschule. Derselbe Effekt ergibt sich auch mit den rot (Wut) oder blau (Meer, Gott Nettuno) blinkend aus dem Boden auftauchenden Leuchtstäben, bei denen es sich um ein Zitat aus Sellars’ Salzburger Tito-Inszenierung handelt.

Was umweltschonendes Recycling anbelangt, geht Sellars also quasi als Regisseur mit entsprechendem Selbstzitatbeispiel voran. Atmosphärisch Reizvolles jedenfalls auch an anderer Stelle: Beim Ausbruch des Meereszorns scheint die Bühne unter Wasser zu stehen. Eine bläuliche Fläche breitet sich in Wolkenhöhe aus und suggeriert im Verbund mit den herumschwebenden Plastikgebilden eine Überflutung.

Die Attraktivität dieser optischen Ideen steht zwar etwas im verniedlichenden Verhältnis zu den Folgen von Umweltzerstörung und Klimawandel, auf die Sellars hinweisen will. Immerhin bildet die Optik aber eine Ablenkung von szenischen Vorgängen.

Abseits von Momenten heftiger Emotion, die Idomeneo (zunächst klangschön, dann mitunter an der Grenze seiner Möglichkeiten: Russell Thomas) oder eben Elettra (am Schluss) packen, schlägt sich Sellars nämlich unter seinem Wert. Er setzt auf gestische Rituale, die den Text doppeln (besonders beim formidablen MusicAeterna Choir of Perm Opera). Auch weckt er Assoziationen an ein Stehtheater der oratorialen Beschaulichkeit, in dem die Protagonisten zu sehr sich selbst überlassen wurden.

Manipulative Gesten

Selbst Nettuno (Jonathan Lemalu), der Menschengestalt annehmen darf, bleibt seltsam ungestaltet, kommt über kurze manipulative Körperkontakte mit Idomeneo nicht hinaus. Sellars Botschaft bleibt somit stärker als ihre theatralische Umsetzung. Das schmälert zwar die Relevanz des engagierten Grundkonzepts im Sinne eines dringlichen Handelns keineswegs. Etwas von jenem subtilen Tanzritual aus Samoa, das mit bis in die Fingerspitzen gestalteter Gestensprache betörte, hätte sich jedoch getrost auf die gesamte Inszenierung übertragen dürfen.

So scheinen Eleganz, Beweglichkeit und Subtilität an den Orchestergraben delegiert worden zu sein, in dem das Freiburger Barockorchester brilliert. Dirigent Teodor Currentzis setzt wie immer auf Extreme. Im Zarten wird es eloquent-lyrisch spürbar wie auch akzentuiert bis ruppig im Dramatischen. Er vereint Klangsinnlichkeit mit durchsichtiger Struktur und ist den Bühnenvorgängen eine energetische Ermunterung.

Nicht zu vergessen: Dass die meisten Rezitative gestrichen wurden, ist angesichts der eher beiläufigen Figurengestaltung ein Segen. Die Hereinnahme einer Solonummer aus Thamos, König in Ägypten und des Rezitativs und der Arie KV 505 weckt hingegen die szenische Trägheit auch nicht aus dem Schlummer auf. Das Delegieren manch intimer Momente an das Hammerklavier hingegen führt sehr wohl zur Verdichtung der Duette.

Allseits Zufriedenheit. Für Sellars, der hier letztlich knapp an der Ästhetisierung jenes Umweltgrauens, vor dem er warnt, vorbeigeschrammt ist, gab es aber wenige Buhs. (Ljubiša Tošić, 28.7.2019)