Die US-amerikanische Miniserie "Waco", die 2018 veröffentlicht wurde, lässt jeden aufhorchen, der sich einmal näher mit der Diskussion um sogenannte "Sekten" beschäftigt hat – eine Debatte, die heute zweifellos nicht mehr diese Bedeutung und öffentliche Aufmerksamkeit hat, die sie vor Jahrzehnten hatte.

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Die tragischen Ereignisse des Jahres 1993 in der kleinen Stadt Waco im US-Bundesstaat Texas, unweit San Antonio gelegen, sind ein Klassiker in diesem Zusammenhang und ein Beispiel für eine hochexplosive Entwicklung innerhalb einer isolierten Sondergemeinschaft, die unter der Führung eines offensichtlich charismatischen Anführers ins Verderben rennt. Es ist allerdings auch ein gutes Beispiel, wie problematisch die Entwicklung verlaufen kann, wenn staatliche Behörden meinen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen so geartete hermetische Gemeinschaften vorgehen zu müssen. Rund 51 Tage dauerte die Belagerung eines Gebäudes durch FBI und Militär, das von einer christlichen Sondergemeinschaft bezogen worden war und von ihnen als ihr "Berg Karmel" angesehen wurde. Am 19. April 1993 kommt es zum folgenschweren Ausbruch eines Brandes, dem letztendlich mindestens 81 Menschen zum Opfer fielen. Die ikonischen Bilder des brennenden Gebäudes sind in das Mediengedächtnis der USA eingegangen. Dasselbe gilt für das Bild des Anführers der Gemeinschaft, der sich selbst den Namen "David Koresh" gegeben hatte.

Der brennende "Mount Carmel".
Foto: AP

Waco und die "Selbstmordsekten"

Ein Verweis auf Waco ist klassischer Bestandteil aller Aufzählungen vergleichbarer Entwicklungen, meist in einer Reihe mit den Massenselbstmord und -mord unter Mitgliedern des sogenannten "Peoples Temple" in Jonestown in Französisch-Guyana 1978, den Selbstmordfällen unter den sogenannten "Sonnentemplern" ("Ordre du temple solaire") in der Schweiz und in Kanada in den 1990er-Jahren oder in der Ufo-Kontaktler-Gruppe "Heaven’s Gate" 1997, nicht zu vergessen der Giftgasanschlag der neureligiösen buddhistischen Bewegung Aum Shinrikyō im U-Bahn-System von Tokyo 1995.

Diese Sekten-Hitlist darf aber keineswegs dazu verleiten, sämtliche religiöse Klein- und Sondergemeinschaften unter Generalverdacht zu stellen. Zudem ist anzumerken, dass die offensichtliche Häufung von Fällen gerade in den 1990er-Jahren viel mit der damals herannahenden Jahrtausendwende zu tun hatte. Dieses naturgemäß seltene Ereignis hat sicher vielfach zu einer Aufladung von Endzeiterwartung geführt und damit besonderes Potential für isolierte Gemeinschaften in sich getragen, bei dementsprechenden Außenbedingungen zu implodieren oder zu explodieren. Wenn aber jede religiöse Gemeinschaft, die mit apokalyptischen Elementen spielt, zu vergleichbaren Entwicklungen führen würde, hätten wir tagtäglich die Zeitungen damit gefüllt. Das ist aber nicht der Fall.

Damit ist gerade die Geschichte von Waco auch ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit, sich selbst solchen Ereignissen differenziert zu nähern, um den Verlauf so gearteter Ereignisse und die zugrundeliegenden Motivationen zu begreifen.

Eine christliche Sondergemeinschaft und ihr hochproblematischer Anführer

David Koresh, der eigentlich Vernon Wayne Howell (1959-1993) hieß, stieß 1982 zur Gemeinschaft der sogenannten "Branch Davidians", die aus Abspaltungen der christlichen "Siebenten-Tags-Adventisten" hervorgegangen war und in einem Anwesen in der Nähe der Stadt Waco ihr Zentrum hatte. Ihm gelang es bald mit seiner charismatischen Ausstrahlung die Leitung zu übernehmen und die Gemeinschaft mit einer speziellen Bibelinterpretation zu überzeugen, in der Endzeiterwartungen eine wichtige Rolle spielten. Mit dem Namen "David Koresh", den er sich selbst gab, bezog er sich einerseits auf den alttestamentlichen König David und dessen messianischen Hintergrund. Andererseits verweist der Name Koresh auf den antiken persischen König Kyros II., der Israel von den Babyloniern befreite, und in verschiedenen Interpretationen biblischer Texte mit der Endzeit in Verbindung gebracht wurde.

Vernon Wayne Howell, alias "David Koresh".
Foto: AP

Die isoliert lebende Gemeinschaft wurde von der Umgebung kritisch beäugt. Bald machten Gerüchte die Runde, dass es sich um Waffenschieber handle, zudem war die Rede von sexuellem Missbrauch in der Gemeinschaft. Diese betrafen vor allem den Leiter selbst, konnten aber aufgrund der weiteren tragischen Verläufe nie völlig aufgeklärt werden. Vermutlich führte Koresh sogenannte "spirituelle Hochzeiten" durch, die er nach seinem biblischen Vorbild David mit mehreren Frauen schloss, und dabei offensichtlich weidlich seine Position als unumschränkter Anführer der Gemeinschaft ausnützte. Dazu kamen Vorwürfe der physischen Gewalt gegen seine Kinder, die allerdings auch niemals wirklich bewiesen werden konnten. Doch lieferten die diversen Gerüchte insgesamt die Grundlage für das nun folgende Vorgehen der Behörden, das mittelbar zur Katastrophe führte. Von außen erschienen die "Davidianer" wie eine paramilitärische Gemeinschaft, die durch den Glauben an eine bevorstehende Apokalypse zusammengehalten wurde und die jederzeit explodieren könnte.

Die Apokalypse

Die Tragödie im April 1993 fand ihren Ausgang bei einer Razzia auf dem Anwesen der Gemeinschaft im Februar zuvor, die wegen des Verdachts auf illegalen Waffenbesitz von der zuständigen Bundesbehörde durchgeführt wurde. Schon damals wurden die etwa 100 Behördenvertreter, die nach Schusswaffen suchen wollten, von den Davidianern beschossen. Bei diesem ersten Schusswechsel starben bereits zehn Personen, darunter vier Polizisten. Daraufhin verschanzten sich rund 140 der Mitglieder auf dem Anwesen, das für die folgende Zeit vom hinzugezogenen FBI belagert wurde. Einige der noch verbliebenen Mitglieder verließen in den folgenden Tagen das Anwesen.

Die nun folgende Belagerung dauerte 51 Tage. Im Gebäude sollen sich am Ende noch rund 100 Mitglieder aufgehalten haben, wovon angeblich ein Viertel Kinder waren. Nach dem ersten Angriff der Polizei mit einem Panzer als Rammbock brach ein Brand aus, der möglicherweise durch das von außen eingeleitete Reizgas entstanden war und sich durch den Wind zu einer Feuersbrunst entwickelte. Ein Großteil des Anwesens ging in Flammen auf und kostete viele Menschenleben, unter ihnen auch das von Koresh. Das Vorgehen der Behörden ist bis heute immer wieder Kritik ausgesetzt. Überlebende und Angehörige der getöteten Davidianer erheben den Vorwurf, dass die Angreifenden für den Ausbruch des Feuers verantwortlich gewesen seien. Diese Anschuldigungen wurden 2000 vor einem Geschworenengericht verhandelt, das allerdings zum Schluss kam, dass Polizei und Justiz keine Vorwürfe bezüglich des Verlaufs der Tragödie gemacht werden könne. Eine letztendliche Klärung scheint hier schwierig. Allerdings gilt der Vorfall von Waco bis heute als Fanal und führte zu einer grundsätzlich neuen Orientierung in der Verhandlungstaktik mit vergleichbaren Gemeinschaften, so beispielsweise bei den sogenannten "Montana Freemen", einer christlichen patriotischen Gemeinschaft. Diese hatte sich auf ihrem "Justus Township" für autonom erklärt und konnten 1996 nach einem 81-tägigen Verhandlungsmarathon zum Aufgeben gebracht worden.

Kreuze erinnern heute an die Ereignisse im Jahr 1993.
Foto:REUTERS/Stringer/Files

Ein "Stand off" als Fanal

Neben den religiösen Inhalten gibt es auch ein weiteres Moment, das für das Verständnis der Ereignisse wichtig ist und die Wahrnehmung in den USA bis heute prägt: die Tatsache nämlich, dass sich die Gemeinschaft in einem "Stand off" für die souveräne Selbstverwaltung ihres Territoriums einsetzt und jegliche staatliche Intervention als Störung ihrer Autonomie empfand. Dieses Moment erfährt in der genannten TV-Serie übrigens eine sehr ausgeprägte Betonung. Oft hat man den Eindruck, es werde auf dieser Ebene Verständnis für die Reaktionen der Gemeinschaft selbst eingemahnt, was zu einer recht kritischen Wahrnehmung dieser Serie führte.

In der Tat lassen sich spezifische Aspekte dieser Geschichte nur unter Rücksicht auf einen tief in der DNA der USA eingewebten Sinns für Freiheit und der Forderung nach einer möglichst autonomen und ungehinderten Entfaltung seiner Potentiale verstehen. Nicht umsonst verwebt die amerikanische Verfassung die Freiheit mit einem individualisierten "pursuit of happiness", die prinzipiell jedem offen steht. Damit lassen sich übrigens viele Aspekte der US-amerikanischen Politik und Gesellschaftsentwicklung der Gegenwart erklären, beispielsweise die uns völlig seltsam anmutende Ablehnung einer staatlichen allgemeinen Krankenversicherung für alle.

Nicht zuletzt deshalb werden die Ereignisse von Waco in den USA von einigen Gruppierungen immer wieder als Negativbeispiel für illegitimes staatliches Eingreifen zitiert. Vor diesem Hintergrund ist auch ein weiteres tragisches Ereignis der jüngeren Geschichte der USA zu erwähnen. Auf den Tag exakt zwei Jahre nach der Apokalypse von Waco explodierte im rund  450 Kilometer weiter nördlich gelegenen Oklahoma City ein bundesstaatliches Verwaltungsgebäude. 168 Menschen kamen dabei ums Leben. Angeblich soll Rache für die Vorkommnisse in Waco eines der Motive des 2001 dafür hingerichteten Bombenlegers Timothy McVeigh gewesen sein. (Franz Winter, 7.8.2019)

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