Eine außergewöhnliche Strategie hat Google für seine nächste Smartphone-Generation gewählt: Anstatt auf die übliche Abfolge von Leaks durch Dritte zu warten, verrät man kurzerhand einfach schrittweise selbst zentrale Details zu seinem Smartphone. Bereits vor einigen Wochen gab es entsprechend einen ersten Blick auf die Rückseite des Pixel 4 zu sehen, das sich von aktuellen Google-Smartphones vor allem über einen wesentlich komplexeren Kameraaufbau abhebt. Nun gibt es erste Details zur Vorderseite des Geräts, und dabei vor allem eine Erklärung, warum diese einen deutlich größeren Rahmen oberhalb des Bildschirms aufweisen wird, als es bei vielen anderen aktuellen Smartphones der Fall ist.

Mini-Radar

Google packt in den Bereich oberhalb des Displays jede Menge Technik, wie aus einem Blogposting und einer zugehörigen Grafik hervorgeht. Die spannendste Neuerung ist dabei eine, über die in den vergangenen Wochen bereits ausführlich spekuliert wurde: Das Pixel 4 wird das erste Smartphone sein, das mit einem Mini-Radar ausgestattet ist. Unter dem Namen "Project Soli" hatte Google diese Technologie bereits vor einigen Jahren erstmals demonstriert. Mittlerweile scheint das Ganze aber soweit gediehen zu sein, dass man es in ein Smartphone packen kann. Beim Pixel 4 soll dies zunächst für einfache Handgesten genutzt werden. In einem Video demonstriert man etwa, wie ohne Berührung des Smartphones zwischen verschiedenen Lieder gewechselt werden kann. Auch das Verschieben eines Alarms oder das Stummstellen eine Anrufs soll auf diesem Weg möglich sein.

In einem kurzen Videoclip demonstriert Google die neuen Fähigkeiten des Pixel 4.
Made by Google

Motion Sense

Google betont dabei, dass dieses "Motion Sense" genannte Feature über die Zeit weiter ausgebaut werden soll. Theoretisch würde der Radar-Chip jedenfalls erheblich genauerer Gesten erlauben als es die derzeitige Nutzung nahelegt. In der Vergangenheit haben sich bereits andere Hersteller wie LG an solchen Handgesten versucht, und waren auf wenig Gegenliebe gestoßen, da diese kamerabasierten Lösungen nur unzuverlässig funktionierten. Bleibt also abzuwarten, ob die Radartechnologie einen entscheidenden Unterschied macht, und ob dieses Feature dann von den Nutzern angenommen wird. Zudem dürfte es zur allgemeinen Verfügbarkeit von Project Soli noch eine weitere Hürde geben: Google betont, dass dieses Feature zum Start nur in ausgewählten Ländern verfügbar sein wird. Einen Grund dafür nennt man nicht, eventuell muss man aber noch regulatorische Hürden für den Einsatz des Mini-Radars überspringen.

Gesichtserkennung

Den Großteil des Bereichs oberhalb des Bildschirms nimmt aber eine andere Technologie ein: So gibt es eine ganze Reihe von neuen Sensoren, die alle einer Aufgabe gewidmet sind: Dem Entsperren via Gesichtserkennung. Im Unterschied zu dem gewohnt einfach auszutricksenden "Face Unlock" unter Android soll es sich hier um eine wirklich sichere Technologie handeln. Insofern soll die Geschichtserkennung am Pixel 4 auch zur Bezahlung und zur Authentifizierung in Apps genutzt werden können.

Damit erinnert diese Feature stark an Apples Face ID, und auch wenn Google den Mitbewerber nicht namentlich nennt, gibt es doch einen kleinen Seitenhieb. So verspricht man, dass die Technologie in zwei zentralen Punkten besser sein soll. Einerseits könne man die Informationen des Radar-Chips nutzen, um all die Sensoren zur Gesichtserkennung zeitgerecht zu aktivieren. Dies soll ein sehr schnelles Entsperren ermöglichen. Zudem funktioniere das neue "Face Unlock" unabhängig davon, wie das Smartphone am Tisch ausgerichtet ist. Dabei spielt man auf ein bekanntes Defizit von Face ID am iPhone an. Allerdings auch auf eines, dass es wohl nicht mehr lange geben wird, am iPad geht das Entsperren bei Apple mittlerweile unabhängig von der Ausrichtung des Geräts.

Umsetzung

Auf der technischen Seite nutzt Google für dieses Feature neben der Hauptkamera auch zwei Infrarot-Kameras sowie einen "Dot Projector" der Tiefeninformationen des Gesichts erfassen kann. Auch Farbwerte und Umgebungslicht werden erfasst. Das Ganze soll laut eines Berichts von The Verge auch in kompletter Dunkelheit funktionieren. Wer sich Sorgen darum macht, dass Google hier nur weitere Daten über seine Nutzer sammeln will: Das Unternehmen versichert, dass die betreffenden Daten ausschließlich lokal am Gerät gespeichert werden, und zwar in dem separaten Hochsicherheitschip "Titan M", den Google bereits in der aktuellen Smartphone-Generation verwendet. Selbiges gilt übrigens auch für alle mittels des Soli-Chips erfassten Daten, auch diese sollen das Gerät nie verlassen.

Zahlreiche Sensoren an der Oberseite des Pixel 4.
Grafik: Google

Training

Hinter der Gesichtserkennung steht – wie üblich – auch jede Menge Maschinenlernen. Um die dafür verwendeten neuronalen Netzwerke zu trainieren, hat Google einen ungewöhnlichen Weg beschritten. Das Unternehmen hat schlicht Personen auf der Straße angesprochen, und ihnen Geld geboten, wenn sie ihr Gesicht einscannen lassen. Ziel ist es dabei, sicherzustellen, dass die Gesichtserkennung mit verschiedenen Gesichtsformen und Hautfarben problemlos funktioniert. In der Vergangenheit hatten Gesichtserkennungssystem immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, da sie oft bei Männern mit heller Hautfarbe am besten funktionieren. Grund dafür ist, dass diese Modelle meist mit Mitarbeitern der jeweiligen Firmen erstellt werden, wodurch vorhandene Defizite in Hinblick auf die Diversität der Angestellten reproduziert werden.

Nur eine Frontkamera

Die Grafik macht aber noch eines klar: Eine zweite Frontkamera wird es im Gegensatz zum Pixel 3 nicht mehr geben. Offen bleibt zudem, ob die Gesichtserkennung die einzige Art der biometrischen Authentifizierung bleibt. Der rückseitige Fingerprintscanner ist auf früheren Renderings jedenfalls verschwunden. Bliebe noch die Möglichkeit, dass Google ein Lesegerät direkt unterhalb des Displays verwendet. Angesichts der Investitionen in die Gesichtserkennung, erscheint es aber durchaus realistisch, dass Google beim Pixel 4 exklusiv auf diese setzt.

Bis das Pixel 4 am Markt ist, wird allerdings noch einige Zeit vergehen: Die offizielle Vorstellung wird erst für Anfang Oktober erwartet. Bis dahin wird Google wohl noch weitere Details häppchenweise vorab verraten. (Andreas Proschofsky, 30.7.2019)