Manchmal muss man sich selbst an der Nase nehmen. Etwa um zuzugeben, dass Poster "mhim" recht hat. Obwohl ohnehin geplant war, den Fuß vom Freakshow-Gas zu nehmen: Das hier ist eine Laufkolumne. Und auch wenn Laufen beim Triathlon eine Rolle spielt, wird es Zeit, das Schwimmen und Radfahren wieder in den Hintergrund zu rücken.

Nicht nur, weil Triathlon Herrn oder Frau Mhim "nämlich Nüsse interessiert", sondern weil diese Zone auch für Leserinnen und Leser konsumier- und nachvollziehbar bleiben soll, die einfach nur laufen. Weil es ihnen Spaß macht und weil sie sich dabei oder danach besser fühlen.

Foto: thomas rottenberg

Wenn hier also zwischen den Zeilen der Eindruck entsteht, irgendeine Form des Laufens (oder des Sichbewegens) sei mehr oder weniger wert, dann mache ich etwas falsch: Zeigen, was geht, wenn man will, ist das eine. So zu wirken, als schätze man deshalb andere oder anderes gering, spräche ihm Relevanz, Schönheit und Existenzberechtigung ab, geht aber nicht.

Deshalb kommt hier – wieder einmal – der Schritt zurück. Dorthin, worum es geht: um Freude. Am Laufen. Am Sport. An Bewegung. Die Erinnerung daran, dass all das die Welt voller, schöner und vielfältiger machen kann. Sogar dann, wenn man es an einem Ort und auf eine Art tut, wo und wie man es schon gefühlt tausende Male getan hat.

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"Wow, da hast du dir ja eine wunderschöne Morgenrunde zusammengestellt", meinte unlängst eine Freundin, als sie ein paar Schnappschüsse eines Early-Bird-Runs sah. Ich sah sie verständnislos an: Wieso, das ist doch meine Alltagsrunde, wenn mir in der Früh nix einfällt und ich wenig Zeit habe. Seit Jahren. "Eben: Dir fällt gar nimmer auf, was du da siehst. Andere reisen extra nach Wien, um genau das zu sehen. Du bist blind! Nicht betriebs-, sondern streckenblind."

Das saß: Es ist nur Laufen – und irgendwann übergeht man dann, wie schön es sogar dann ist, wenn da gar nix passiert. Also galt wieder mal: zurück zum Ursprung. Wiederentdecken. Wieder hinschauen. Wieder wertschätzen.

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Es ist jetzt schon ein paar Jahre her, dass ich mit dem Stadt- und Morgenlaufen begonnen habe. Ich kam spät zum Sport. Zum Laufen noch später. Marathon und der andere lustige Unfug kamen erst vor fünf oder sechs Jahren dazu.

In der Früh bin ich relativ bald gelaufen. Nicht aus Lust am Aufstehen – oh nein! –, sondern aus Gründen der Zeiteffizienz. Und weil ich mich kenne: Wenn ich beginne, etwas aufzuschieben, schiebe ich lange, weit und nachhaltig. Beim Sport von der Früh zum Nachmittag. In den Abend. In die Nacht. In die Rundablage.

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In der Früh durch die Stadt zu laufen lag nahe: Ich wohne schon länger in Bobostan, als es dieses Vokabel gibt. Natürlich wäre es fein, durch morgendlich dampfende Wälder und über erwachende Wiesen mit Bergseepanoramen zu laufen. Aber sogar in den Prater muss ich erst kommen (wobei: Das zahlt sich gerade in der frühen Früh aus). Und bei wenig Zeit ist die Runde Mariahilfer Straße – Ringstraßenparks – Hofburg – Stephansplatz – Stadtpark schlicht und einfach praktisch, weil vor der Haustür.

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Dass das keine Megarunden sind, macht nix: Mit ein paar Schleifen kommen da nämlich auch Kilometer zusammen. Aber auch wenn es "nur" die Basisrunde ist: Das ist super. Das ist etwas wert. Der Tag beginnt gleich anders.

Man hat etwas gemacht, Körper, Kopf, Herz, Seele aufgeweckt. Geringschätzung der kleinen Einheiten steht niemandem zu. Meine Stadt-Laufanfänge waren genau hier. Da waren fünf Kilometer durchaus eine Anstrengung. Das sind sie auch heute: Falls ich daran zweifeln sollte, laufe ich sie eben schnell. Oder intensiv.

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Dass sich sogar im superhistorischen Ambiente aber auch knackige Hügelintervalle einbauen lassen, glaubt einem kaum wer. Denn sogar echte Wienkenner kennen die Albertina-Rampe nicht. Nein, nicht den Stadtmauerrest mit dem Soravia-Wing und Blick zur Oper, sondern die langgezogene, geschwungene Rampe zwischen Palmenhaus und Terrasse. Eben.

Die haben Sie unter Garantie die letzten Jahrzehnte nicht beachtet. Falls Ihnen Citylaufen zu easy ist: Laufen Sie hier 15-mal rauf. Voll. Im ganz lockeren Trab wieder runter. Keine Pause. Laufen Sie so intensiv rauf, wie es geht – aber so, dass der erste Anstieg genauso lange dauert wie der letzte: Sie werden sich wundern, wie sehr man 100 sanft ansteigende Meter Straße hassen kann.

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Aber eigentlich sollte es hier heute um Schönheit und Freude gehen. Dafür bleibt man besser in den Parks und genießt die historische Bausubstanz einfach als Kulisse. Als Bühnenbild, das sich in ein oder zwei Stunden drastisch geändert haben wird.

In der Früh, bevor der Verkehr losgeht, ist die Luft sogar frisch. Wobei: Dass schon die kleinste Hecke da einen Unterschied macht, lernt man dann, wenn man wirklich atmet. Etwa beim Laufen. Aber nicht nur da: Der öffentliche Raum wird mittlerweile gerade in den Morgenstunden sehr intensiv als öffentlicher Turnsaal genutzt. Platz gibt es genug. Und überall.

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Als ich mit dem Laufen in der Stadt begann, habe ich gezählt. Andere Spinner. Also Läuferinnen und Läufer. Wenn ich auf einer dieser Cityrunden auf zehn kam, war das viel. Man grüßte einander nicht nur, sondern kannte einander auch bald. Wusste in etwa, wann man wo auf wen treffen würde.

Heute ist das anders. Stadtlaufen, Stadtmorgenlaufen, ist nix Besonderes mehr. Wenn mir heute auf der Mariahilfer Straße lange vor sieben Uhr weniger als zehn Leute begegnen, stimmt etwas nicht: Es schüttet. Es hat minus 10 Grad. Oder so ähnlich.

Und auch wenn es natürlich gut und richtig ist, dass – eh nur gefühlt – mehr Menschen sich bewegen, zwickt das manchmal auch: Früher war das ein eingeschworener, kleiner Zirkel. Früher war eben alles besser. (Sogar das Früher war früher besser.)

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Was es auch früher gab: Rund um den Theseustempel wurde asiatisch geturnt. Um acht Uhr "gehört" der Platz vor dem Tempel neben der nackten Statue Mr. Lee. Jeden Tag. Bei jedem Wetter. Manchmal sind viele Menschen da. Hin und wieder sehr viele. Einmal sah ich hier sogar Bundespräsident Heinz Fischer mitmachen.

Doch Mr. Lee ist nicht der einzige Asiate, der sich hier sanft bewegt: Rund um den Tempel, manchmal auch ein bisserl weiter weg, sind noch andere chinesische Gruppen zugange. Etwa die Damen mit dem Fächer-Tai-Chi. Während die große Acht-Uhr-Gruppe gemischt ist, bleiben sie unter sich – und sind oft schon viel früher hier. Wie und ob alle Asiaten zusammengehören, habe ich noch nie herausgefunden. Ich habe auch nie gefragt.

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Doch auch schon lange vor acht Uhr wird der Volksgarten bespielt. Yoga im Park ist – immer noch und nicht nur hier – das große Ding. Beim Tempel aber will jeder sein. Es gilt "First come – first om". Offiziell muss sich hier niemand anmelden oder fixe Tarife fürs Mitmachen zahlen.

Tatsächlich ist das natürlich nicht so. Die erwartete "freie Spende" sollte adäquat sein. Das ist auf öffentlichem Grund zwar vermutlich nicht ganz legal, aber gerechtfertigt – schließlich wird eine Leistung konsumiert.

Ob da das siebenhundertvierzigste Instagirlie, das außer zu viel Selbstbewusstsein und einem (mittlerweile maßlos überteuerten) Yogalehrerinnen-Massencrashkurs wenig auf die Matte bringt, die Asanas ansagt oder eine aus der gerade ein paar Dutzend Köpfe großen Gruppe der wirklich guten Wiener Yogalehrerinnen unterrichtet, muss jeder selbst herausfinden. Den Unterschied erkennt und spürt man aber rasch.

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Neben den Yogis (meist ja Yoginis) und den Chinesen sind es vor allem Crossfitter, Bootcamper und ähnliche Drillgruppen, die die Parks vor acht Uhr in der Früh bevölkern. (Danach kommen die Mama-Fit-Wiedereinsteigerinnen.)

Manche Gruppen haben eine fixe Homebase in der Umgebung, andere sind einfach übers Internet organisiert. Da funktioniert mittlerweile oft auch die Abrechnung und die Anmeldung mitunter über eine der hochprofessionellen Prepaid-Apps, auf denen sich auch 1.000 andere Sportoptionen indoor wie outdoor finden lassen …

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… oder aber Personalcoaches, die ihre Privatkunden in den imperialen Rahmen der Innenstadt (im Prater und in vielen anderen Parks gibt es all das natürlich auch) bitten.

Ob man da auch einfach mitmachen könne, fragte mich unlängst eine Bekannte und war enttäuscht, als ich sagte, dass ich schlicht und einfach überfragt sei, wie jeder einzelne der Workouts, über die man in der Früh in den Parks alle paar Meter stolpert, organisiert oder kommuniziert wird: Bei vielen gilt "Come as you are". Manche Trainerinnen und Trainer betonen aber (nicht zuletzt aus gewerbe- und steuerrechtlichen Gründen und weil die kommerzielle Nutzung öffentlicher Räume eben auch Thema ist), dass "wir nur Freunde sind, die da privat ein bisserl Sport machen".

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Vermutlich stimmt das bei einigen ja sogar. Die wirklich großen und professionellen Anbieter spielen aber mit offenen Karten: Im Burggarten bin ich schon mehrmals um sieben in der Früh auf die Beachflag eines Wiener Premium-Fitnesscenters gestoßen. Hier wird gemeinsam mit einer Tageszeitung sowohl Fitnesstraining als auch Yoga im großen Stil praktiziert.

So keck, das als "nur Freunde" zu verkaufen, ist natürlich niemand.

Anmelden? Keine Ahnung. Hingehen, fragen und dann mitmachen wird vermutlich auch funktionieren. Bei den Großen genauso wie bei den meisten Kleinen: Mich haben schon einige eingeladen, doch mitzumachen – aber ich bin Läufer. Zumindest in der Früh im Park.

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Obwohl nicht jeder Gruppe will oder braucht. Gerade bei hippen Massenbetätigungen, die längst in einer streng normierten Bubble stattfinden, in der es dann irgendwann schwer wird, zwischen Kommerz, Outfit- und Ausrüstungsvorgaben oder Ernährungs- und anderen Doktrinen das, worum es eigentlich geht, nicht aus den Augen zu verlieren: die Freude an der Freiheit, es zu tun, etwa. Oder einfach den Spaß an der Bewegung.

Ich mag und verstehe beides: das Gruppengefühl und das gemeinsame Lachen – aber auch die Fokussiertheit aufs eigene Ich. Beim Laufen ebenso wie beim Yoga. Und allem anderen: Yin und Yang sind wichtig – und das hat mit Esoterik nicht zu tun.

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Yoga und Laufen sind da dafür gute, weil so offensichtliche Beispiele. Bewegungsabläufe, Intensität und Tempo sind unterschiedlich – aber das, worum es geht, sehr ähnlich: Wichtig ist einzig und allein, dass man es so tut, wie und wann man selbst will.

Egal was andere dazu sagen oder wie sie es bewerten. Egal wie man dabei aussieht. Egal ob schnell oder langsam (Laufen) oder schief oder perfekt (Yoga), kurz oder lang, in sauteurem fancy Markenzeugs oder in einen Kohlensack gewickelt. Mit oder ohne Uhr, Programm oder Coach, Studio, Räucherstäbchen, Om-Gesängen oder in totaler Leere und Stille: Das ist Beiwerk. Netter Tand, über den man plaudern und diskutieren kann, darf und auch soll. Trotzdem muss klar sein: In Wirklichkeit zählt nicht das – sondern etwas ganz anderes. Das, was man dabei fühlt.

Sich hin und wieder, immer wieder genau darauf zu besinnen, tut gut. Schadet niemandem.

Denn nur wer gelernt hat, stehen zu bleiben, kann das Weiterlaufen dann auch genießen. (Thomas Rottenberg, 31.7.2019)

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