Eine Solarfarm in der Wüste Mexikos.

Foto: APA/AFP/ALFREDO ESTRELLA

Es klingt utopisch, wäre mit dem richtigen politischen Willen aber möglich: Eine globale Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis zum Jahr 2050 ist nicht nur technisch umsetzbar, sondern auch sinnvoll und rentabel – das sagen zumindest jene 14 Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die in den vergangenen viereinhalb Jahren an einer der bisher umfassendsten Modellierungsstudien zum Thema gearbeitet haben und kürzlich ihren 321 Seiten schweren Bericht dazu veröffentlichten.

Vollständige und weltweite Energiewende

Sie simulierten eine vollständige, weltweite Energiewende in den Bereichen Strom, Wärme, Verkehr und Meerwasserentsalzung bis 2050. Die Studie skizziert dabei erstmals ein 1,5-Grad-Celsius-Erderwärmungsszenario, das ohne negative CO2-Emissionstechnologien, ohne fossile Energien und ohne Atomstrom auskommt. "Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 statt zwei Grad Celsius bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte sowohl die Gefahr von klimabezogenen Risiken als auch die Anfälligkeit für negative wirtschaftliche Auswirkungen etwas verringern", so die Wissenschafter.

Das Energiesystem der Zukunft setzt dabei vor allem auf Elektrizität: Vier- bis fünfmal so viel Strom wie heute soll produziert werden, um den vollständigen Verzicht auf fossile Brennstoffe zu kompensieren. Für die Stromspeicherung kommen vor allem Batterien und Wärmespeichertechnologien infrage.

Die Sonne nutzen – keine neue Technologie

Alle CO2 emittierenden Sektoren bräuchten einen raschen, nachhaltigen Wandel – allen voran der Energiesektor, sind die Studienautoren überzeugt. Die Wissenschafter stützen sich bei ihren Berechnungen keineswegs auf utopisch-futuristische neue Energieträger. "Eine Wende hin zu zu 100 Prozent sauberen, erneuerbaren Energien ist sehr realistisch – schon jetzt, mit den heute verfügbaren Technologien", sagt Christian Breyer, Professor für Solarwirtschaft an der finnischen Universität Lappeenranta, die die Studie gemeinsam mit der Energy Watch Group durchführte.

Im Rahmen des Modells wurde die Welt in 145 Klein- und neun Großregionen aufgeteilt, der stündliche Energieverbrauch auf Fünfjahreszeiträume hochgerechnet.

Die primäre Energiequelle für jede analysierte Region.
Foto: Screenshot / Energy Watch Group

In der Zukunftsvision stellt die Solarenergie mit 69 Prozent den Löwenanteil, gefolgt von Windenergie mit 18 Prozent und ergänzt um Biomasse und Abfall (sechs Prozent), Wasserkraft (drei Prozent) sowie Geothermie (zwei Prozent). Während in weiten Teilen Eurasiens vor allem Windenergie dominiert, soll in Afrika, Asien, Zentral- und Südamerika, aber auch in der Nahostregion der Strom hauptsächlich mittels Solarenergie produziert werden.

Für jede Region wurde aufgrund lokal vorhandener erneuerbarer Energiequellen ein kostenoptimaler Technologiemix angenommen. Einen wirklich diversifizierten Mix aus Solar-, Wind- und Wasserkraft wird es am ehesten in den nordischen Ländern, dem westlichen Eurasien, Zentralchina, Chile und Neuseeland geben. Die immer effizientere Energienutzung erlaubt es dabei, dass wir bis zur Mitte des Jahrhunderts lediglich einen Mehrenergiebedarf von 1,8 Prozent haben, wenngleich die Weltbevölkerung auf 9,7 Milliarden Menschen anwächst.

Kosten soll das Unterfangen jährlich rund 5,4 Billionen Euro. Das ist circa dreimal so viel Geld, wie die Welt jedes Jahr für Rüstung, Waffen und Kriege im wahrsten Sinn des Wortes hinausballert. Das Besondere aber, so die Wissenschafter, ist die Tatsache, dass die Kosten einer Weiterführung des aktuellen Energiesystems weit höher seien als jene eines nachhaltigen Investments. Rechnet man die reduzierte Luftverschmutzung, die verbesserten Gesundheitsbedingungen und die nicht eingetretenen Schäden an der Umwelt ein, würde letzten Endes sogar ein Plus von rund 1,5 Billionen Euro herauskommen. Immerhin würden durch die Trendwende im Energiesektor statt 30 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent weniger in die Luft geblasen werden, nämlich null.

Fliegen mit Jatropha-Pflanzenöl

Die jährlichen Personentransportkosten könnten durch effizientere Elektromobilität im Straßenverkehr zwar sinken, jene für den See- und Luftverkehr würden aber geringfügig ansteigen. Gerade deshalb sei ein Umstieg auf Biokraftstoffe so wichtig. Rund 6,7 Millionen Quadratkilometer – durch den Klimawandel nicht länger fruchtbare – Böden wären etwa für die Anpflanzung nachhaltigen Jatropha-Pflanzenöls verfügbar. Dieses könnte als biologischer Treibstoff verwendet werden. Die erntbare Menge auf dieser Fläche wäre ausreichend, um unseren aktuellen Kerosinverbrauch zu ersetzen.

Für die Bewässerung würde auch entsalztes Meerwasser hinzugezogen werden, dessen Menge sich bis 2050 vervierzigfachen soll. Vier Prozent unseres globalen Energiebedarfs würden wir laut dem Modell dafür verwenden, gespeist ausschließlich aus erneuerbaren Energien.

Die rund neun Millionen Arbeitsplätze im weltweiten Kohlebergbau würden unter anderem von den 15 Millionen neuen Arbeitsplätzen im Bereich erneuerbarer Energien kompensiert. Insgesamt würden 35 Millionen Menschen in der Erzeugung von Strom beschäftigt sein.

Die richtige Politik

All das ist freilich nur mit einer wirklich ambitionierten Politik möglich. Es brauche eine stärkere Vernetzung von Energiewirtschaft und Industrie, Rahmenbedingungen für private Investitionen inklusive Einspeisevergütungen, "Steuervergünstigungen und rechtliche Privilegien bei gleichzeitiger Einstellung von Subventionen für Kohle und fossile Brennstoffe", so die Studienautoren.

Auch die Einführung einer CO2-, Methan- und Radioaktivitätssteuer wird von den Wissenschaftern gefordert. (Fabian Sommavilla, 31.7.2019)