Ludwig Laher: Aura ist ein wichtiger Begriff.

Foto: B. Hohenwallner

Der Schriftsteller, jedenfalls einer wie ich", sagte Ludwig Laher einmal in einem Interview, "darf sich nicht zu sehr von der Geschichte vereinnahmen lassen. Ich erzähle mit authentischem Hintergrund, weil ich überzeugt bin, die wirklich spannenden Themen muss man nicht erfinden." Es gehe ihm darum, so Laher weiter, die Leserschaft mit diesen Hintergrundthemen bekanntzumachen – und zwar jenseits journalistischer Verkürzung und Zuspitzung, vor allem aber ohne den Lesern vorzugeben, wie sie zu reagieren haben.

Dieser Maxime der Offenheit, die entschlossen und, ohne mit dem Zaunpfahl zu winken, Zusammenhänge und historische Kontinuitäten freilegt, ist Laher seit seinen literarischen Anfängen in den 1980er-Jahren treu geblieben. Etwa in seiner "Trilogie unbekannter Künstler" (Viktor Emmerich Jansen, Wolfgang Amadeus Junior, Ferdinand Sautner) und in äußerst präzis recherchierten semidokumentarischen Romanen wie Herzfleischentartung (über ein "Arbeitserziehungs-" und "Zigeuneranhaltelager" während des Nationalsozialismus im Innviertel) oder Und nehmen was kommt, der vom Schicksal einer jungen Roma in der Ostslowakei handelt.

Hitler und Ratzinger

Daneben hat der 63-Jährige Essay- und Gedichtbände veröffentlicht, etwa Feuerstunde, in dem er schon im Jahr 2003 einen "Klimawandel" in der Gesellschaft" heraufdämmern sah, den er unter anderem auf "dreckige Wortschwälle" und "Sprachgeröll" sowie einen unsensiblen Umgang mit Sprache, auch in den Medien, zurückführte.

Der Essayist Laher lässt sich nun neu im unlängst erschienenen Band Wo nur die Wiege stand. Über die Anziehungskraft früh verlassener Geburtsorte entdecken. Anschauungsmaterial zu dem Thema hat der in St. Pantaleon im Innviertel lebende Autor ganz in der geografischen Nähe, und er fragt sich, wie die Geburtshäuser von Hitler in Braunau (die Familie zog weg, als Hitler drei Jahre alt war) und Josef Ratzinger, der Ex-Papst verließ das unweit gelegene Marktl am Inn jenseits der Grenze sogar etwas jünger, zu Tourismusmagneten der auch unerfreulichen Art werden konnten.

Gerade die Passagen über Braunau sind erhellend. Nicht nur weil sie die wechselhafte Geschichte des Hauses aufnehmen und die Diskussionen, was nun mit dem Gebäude geschehen soll, noch einmal zusammenfassen, sondern vor allem, weil Laher in seinen Überlegungen tief schürft. Er zitiert aus Hitlers Mein Kampf und zeigt, welche Funktion die Grenzstadt Braunau für den später alle Grenzen missachtenden Hitler und für dessen politische Agenda hatte.

Kult um Dollfuß' Geburtshaus

Gerade die Geburt im vermeintlichen Niemandsland instrumentalisierte Hitler, der beim Anschluss achtlos an dem Gebäude vorbeifuhr, laut Laher, um den Ort der Geburt "mit einer Aura zu überziehen, die ihn als von der Vorhersehung bewusst Gesandten erscheinen ließ".

Der Begriff Aura ist ein wichtiger. Laher referiert dabei naturgemäß auch auf Walter Benjamin, der zwischen "Spur" und "Aura" unterschied: "In der Spur werden wir einer Sache habhaft, in der Aura bemächtigt sie sich unser."

Wo nur die Wiege stand ist ein bitterernstes Buch, auch in den Passagen über den seltsamen Kult um das Geburtshaus von Engelbert Dollfuß. Es ist aber auch ein Band, der immer wieder von Humor und feiner Ironie durchzogen ist, etwa wenn es um die Interessen der Tourismusindustrie und die früh verlassenen Geburtshäuser von Albert Einstein, Georg Büchner oder Robert Musil in Klagenfurt geht.

Rosa Luxemburg

Und die Frauen? In der auf Wikipedia willkürlich zusammengewürfelten Aufstellung von Geburtshäusern stehen über hundert Männern gerade drei Frauen gegenüber. So ist es am Essayisten, auf die Orte ihrer Geburt hinzuweisen. Etwa auf Zamosc, wo Rosa Luxemburg geboren wurde.

Die Tafel an ihrem Geburtshaus, die an die Aktivistin der Arbeiterbewegung, für die Freiheit immer auch Freiheit der Andersdenkenden war, erinnerte, wurde von der nationalkonservativen Regierung mit dem Hinweis auf den Tatbestand "kommunistischer Propaganda" 2018 entfernt. Rekursmöglichkeit gegen solche "sich häufenden Säuberungsgebote" gibt es laut Laher nicht. Obwohl: Der Stadtpräsident von Zamosc hatte sich eindeutig für den Verbleib der Tafel ausgesprochen – "wohlgemerkt aus touristischen Erwägungen." (Stefan Gmünder, 31.7.2019)