Der Gusto ist einem nach Aperol Spritz. Mit viel Eis. Immer weiter schiebt das Thermometer am Wiener Franziskanerplatz die blaue Flüssigkeit in seinem Inneren nach oben. Die wenigen Gäste unter den Sonnenschirmen des Kleinen Cafés am Platz fühlen sich bestimmt, als säßen sie unter einer Trockenhaube beim Friseur. Neben den grünen Tischen thront eine mächtige Moses-Statue in einem vor sich hin plätschernden Brunnen. Der Reiz reinzuhupfen ist kein kleiner.

Der Aperol muss warten. Stattdessen wird in einem Geschäft, ein paar Schritte von Moses entfernt, Glühwein kredenzt. Aus der Auslage grinst ein mannshoher Weihnachtsmann in die Gesichter schwitzender Touristen, die dünstend und einigermaßen baff vor dem Fenster stehen bleiben.

Anita Gosztola im unteren Geschoß ihres "Christmas Salon" in der Wiener Innenstadt, wo das ganze Jahr über "Ho ho ho" zu hören ist.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Also Glühwein! Und Kekse. Bei 37 Grad. Ohne Schmäh. Den Kopf schütteln darf man aber schon vorher, nämlich beim Betreten des Geschäfts "Wiener Christmas Salon", wo der Geruch des heißen Asphalts jenem von Zimt weicht. Die Chefin Anita Gosztola begrüßt einen mit "Frohe Weihnachten". Wie auch sonst? Es ist Juli. Neben der Türe gibt's eine Tafel, auf der mit Kreide geschrieben steht: "Noch 160 Tage bis Weihnachten". "Die Tafel ist das Erste, um das ich mich morgens kümmere, wenn ich zur Arbeit komme", erzählt die Geschäftsführerin. Verzählt habe sie sich noch nie. Also täglich grüßt das Christkind.

Man könnte Gosztola als Honorarkonsulin, Verbündete und Handelsvertreterin des Christkindes bezeichnen. Mit dem Weihnachtsmann unterhält sie ebenfalls beste Geschäftsbeziehungen. Konkurrenzklausel gibt es keine. Gut fürs Geschäft.

Glühwein statt Brunnen

Seit zweieinhalb Jahren betreibt sie hier mitten in der Innenstadt eine Art Weihnachtssupermarkt. Gosztola, früher in der Tourismusbranche tätig, bietet auf 220 Quadratmetern so ziemlich alles feil, was für Weihnachten steht. Sie tut das aus voller Leidenschaft, grinst wie ein Kind, wenn zur weihnachtlichen Bescherung gebimmelt wird. Eigentlich grinst sie dauernd, aber sie hat ja auch das ganze Jahr Bescherung. Man nimmt ihr die Begeisterung ab.

Das Nippen am Glühwein, für den sie Tassen in Form von Santa-Stiefeln bereitgestellt hat, verschiebt man lieber auf einen späteren Besuch. Vielleicht im Dezember, wenn die Geschäftsfrau und Weihnachtsfanatikerin stressbedingt hyperventiliert und auch ein Teilzeit-Christkind angestellt ist, das die Kundschaft begrüßt. Die gibt's aber auch im Sommer so wie Christbäume, kitschig überladen, mit silbernen Schleifen, Riesenchristbaumkugeln und Schneestaub.

Mehr als 1.000 verschiedene Artikel sind im Wiener Christmas Salon zu finden.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Das Geschäft ist ein Setzkasten aus Weihnachtsnippes mit mehr als 1.000 verschiedenen Artikeln, die in allen möglichen Ländern eingekauft werden: Schneekugeln, Magnete, Schmuck aller Art, Taschentücher, Kränze aus Tannennadeln, Engerln, Spielzeugeisenbahnen, Flügel, handbemalte Glaskugeln, die eine 82-jährige Dame anfertigt, Rentiere, Sterne, wie man sie am Himmelszelt lange sucht, und und, und, und. Auch Sisi taucht auf. Was hat die hier verloren? "Sie ist das berühmteste 'Christkind' der Welt, hat sie doch am 24. Dezember Geburtstag. Wir feiern jedes Jahr eine Geburtstagsparty für sie", erzählt die aus Ungarn stammende Geschäftsführerin, während aus den Lautsprechern ein geklimpertes Oh Tannenbaum zu hören ist.

Besser als Last Christmas. Doch das kommt noch. Bestimmt. Natürlich dürfen auch Krippen nicht fehlen, schließlich ist Juli. Fast bekommt man Mitleid mit den in Mäntel gehüllten Hirten. Ganz zu schweigen vom Jesuskind in seinem Strohbettchen.

Der Vorhof zur Hölle für Weihnachtsphobiker.
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Das Geschäft als Riesenweihnachtskramuriladen zu bezeichnen hieße, Gosztola unrecht zu tun, denn im Untergeschoß ihres Salons geht die Weihnachtspost erst so richtig ab. Hier ist eine Art Museum untergebracht, mit Privatsammlungen, altem Weihnachtsschmuck, einer Riesenkrippe, einem gemauerten Kamin, einem weiteren Weihnachtsmann, prallgeschmückten Bäumen, schneeweißen Riesenengelsflügeln, dem allerersten Schokonikolaus oder Erlesenem aus dem Stille Nacht-"Erfindungsort" Oberndorf. Das Lied wurde in 300 Sprachen übersetzt, weiß Gosztola und erzählt, dass vor allem spanische Kunden das Lied sehr gerne in ihrem Geschäft singen und auch dazu tanzen.

Auch schon egal, hier unten ist jedenfalls der Vorhof zur Hölle für Weihnachtsphobiker. Die Weihnachtsbotschafterin veranstaltet Lesungen, Konzerte, Firmenfeiern, Fotoshootings vor dem Kamin und so manchen Business-Lunch. Auch ein eigener Weihnachtsfanklub wird unterhalten, und natürlich hat der Ganzjahres-Christkindl-Markt seinen Auftritt in den sozialen Medien.

Ob ihr der ganze Schnickschnack und das Weihnachtstrara nicht manchmal auf die Nerven gehen? Nun ist er also gekommen, der einzige Moment, in dem Gosztola das Grinsen einfriert. "Aber nein", sagt sie. "Wieso? Es bereitet mir große Freude, jeden Tag mit Menschen zu tun zu haben, die Weihnachten lieben." Wirklich jeden Tag? "Oh ja, die Menschen kommen aus der ganzen Welt zu mir. Auch im Jänner läuft das Geschäft gut, vor allem mit italienischer Kundschaft", berichtet Anita Gosztola mit Augen, die leuchten wie die Lichterkette hinter ihr.

Anita Gosztola ist Handelsvertreterin von Weihnachtsmann, Christkind und der ganzen Engelschar.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Jeder Tag Weihnachten

Das Grinsen ist wieder da. Andere Kunden kämen vor allem aus Spanien und den USA. Dort gäbe es Leute, die eigene Weihnachtszimmer mit bis zu fünf Bäumen in ihren Häusern einrichten und jeden Tag ein bisschen Weihnachten feiern. Und noch etwas: "Inzwischen wird das Geschäft als Sehenswürdigkeit gehandelt", sagt Gosztola, auch um zu bekräftigen, dass es überhaupt keinen Grund gäbe, weswegen ihr hier irgendetwas auf die Nerven gehen sollte. Wenigstens gibt sie zu, dass sie manchmal Alle Jahre wieder, Ihr Kinderlein kommet usw. abdreht, wenn gerade mal kein Kunde im Geschäft ist. Beruhigend.

Und was sagt sie über Menschen, denen der ganze Weihnachtszirkus einfach nur auf die Nerven geht, die allein beim W-Wort schon das Gesicht verziehen. "Nun, was soll ich sagen, es mag ja auch nicht jeder Wiener Schnitzel", meint sie, nicht ohne bekehrenden Nachsatz. "Vielleicht würden diese Menschen es anders sehen, wenn sie mal zu mir auf Besuch kämen." Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Bleibt zum Schluss die Frage, wie sie selbst das Weihnachtsfest feiert? "Natürlich hier unten im Geschäft, allerdings ist am 24. Dezember so unglaublich viel zu tun, dass ich schon vor dem Weihnachtsessen einschlafe." Ob sie auch am 25. 12. geöffnet hat? "Klar!" Dann sind es noch 364 Tage bis Weihnachten. So, und jetzt auf einen Aperol. Mit viel Eis. (Michael Hausenblas, RONDO, 6.8.2019)