Sebastian Kurz' Auftritte vor seinen Fans sind türkise Hochämter. Die Anhängerschaft reagiert zumeist entzückt.

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Die Politologin Natascha Strobl erkennt im Wahlkampf der ÖVP klare Tendenzen zur Selbstimmunisierung – wie seinerzeit in der FPÖ unter Jörg Haider.

Die ÖVP rund um Sebastian Kurz hat sich in den letzten Tagen offensiv gegen vermeintliche und reale Tiefschläge gewehrt. Drogengerüchte, Schredder-Affäre, Fake-E-Mails und bizarre Gerüchte eines widerlichen Blogs. Hinter dem Vorgehen der ÖVP stecken jedoch strategische Überlegungen, die vor allem gegen die Sozialdemokratie gerichtet sind. Eine Analyse des Facebook-Statements zeigt die Inszenierung und das Vorgehen der Volkspartei.

  • Virtuelles Stoppschild

Dieses Posting unterscheidet sich schon rein formell von allen anderen Kurz-Postings – es gibt eine direkte Ansprache mit "Liebe Freunde", es ist sehr, sehr lang, und es gibt kein beigefügtes Bild oder Video. Alles No-Nos für professionelles Facebook-Marketing. Aber das ist natürlich Absicht. Die Ansprache kennen wir schon vom verstorbenen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Es ist nicht die letzte Haider-Referenz in seinem Posting. Mit dem Bruch mit professionellen Marketing-Gepflogenheiten wird suggeriert, dass es sich hierbei um etwas Besonderes handelt, also einen Ausbruch aus der Normalität. Sebastian Kurz wendet sich direkt in einer ernsten Angelegenheit an uns. Das erzeugt Authentizität. Das macht uns für die Botschaft von vornherein empfänglicher, weil wir gerne echten Menschen zuhören. Das heißt, bevor wir überhaupt den Inhalt erfassen, werden wir schon durch die Form der Ansprache zu Empathie und damit Sympathie für Kurz gedrängt.

  • Sie sind gegen ihn

Inhaltlich greift Kurz auch wieder ganz tief in die Haider'sche Trickkiste. Er vermengt unterschiedslos alle Ereignisse der letzten Tage und Wochen und generiert daraus eine "beispiellose" Hetzjagd auf ihn selbst. Das kommt uns bekannt vor – bei Jörg Haider hieß dies "Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist". Kurz wandelt auf denselben Spuren. Auch Donald Trump wendet diese Strategie an. Berühmt-berüchtigt ist seine Feststellung, dass er auf der 5th Avenue in NYC jemanden niederschießen könnte, ohne auch nur eine einzige Stimme zu verlieren. Es handelt sich dabei also um eine Immunisierungsstrategie. Haider hat dies so nachhaltig und effektiv angewandt, dass bis heute seine Fans nicht glauben können, dass er betrunken einen Autounfall verursacht hat. Stattdessen werden obskure Verschwörungstheorien gesponnen.

Die Schuldigen sind, wie es das Wesen solcher Theorien ist, die Juden und die Linken. Seine Fans glauben lieber an solche Theorien, weil Haider sich so stark immunisiert hat, dass ihm persönliche Verfehlungen nicht mehr zugetraut werden. Genau auf dieser Klaviatur spielt Kurz auch. Er verweist nebulös auf "Bewegung" und "begonnenen Weg", die jeweils zerstört werden sollen. Er will etwas Gutes für uns, also soll er von "denen" zerstört werden. Kurz nimmt dies aber auf sich. Hier haben wir wieder das Märtyrer-Jesus-Motiv, das wir schon aus vergangenen Reden kennen. Aber es ist Wahlkampf, also braucht er unsere Hilfe, alleine schafft er es nicht ganz. Wir müssen alle etwas tun, sonst gewinnen "die".

  • Gemengelage

Die zweite Immunisierungsstrategie ist das unterschiedslose Zusammenwerfen etwa der berechtigten Vorwürfe der Schredder-Affäre mit dieser bizarren Website. Das ist auch unverantwortlich, da der Verfasser dieses Blogs offensichtlich einer ärztlichen Intervention bedarf. Niemand kannte diese Seite vorher, und dank ÖVP werden die Inhalte nun einem breiten Publikum bekannt. Das ist auch deswegen furchtbar, weil Privatpersonen und deren Fotos unfreiwillig auf der Seite verwendet werden und diese nun in der Auslage der österreichischen Innenpolitik stehen. Das politische Kalkül dieser Aktion ist, dass durch die Beimengung des bizarren Blogs alle anderen Vorwürfe die nötige Absurdität bekommen, um sie mit ins Reich der Fiktion, ja der bewussten Bösartigkeit zu treiben. Völlig unterschiedliche und nicht miteinander in Verbindung stehende Sachlagen werden so rhetorisch aneinandergetackert.

  • Die SPÖ ist schuld

Schon seit einiger Zeit versucht die ÖVP die SPÖ rhetorisch zu zerstören. Das passiert etwa durch die immer wiederkehrende Nennung von Tal Silberstein, völlig ungeachtet dessen, ob es passend ist oder nicht. Der Name Silberstein ist also zur Chiffre für unlauteres Vorgehen im Wahlkampf geworden. Es spielt keine Rolle, ob er real involviert ist oder nicht. Die ÖVP bedient sich hier eines antisemitischen Codes, der schon in der Zwischenkriegszeit bei Konservativen und Völkischen beliebt war. Ein jüdischer Name (damals Kohn) wird zum Sinnbild für eine dunkle, übermächtige, staats- und nationszerstörende Macht aus dem Ausland im Dienste des Bolschewismus.

So kommt auch völlig zusammenhangslos schon in der dritten Zeile des Kurz-Postings der ominöse "SPÖ-Berater" vor. Allein visuell sticht dies heraus, und so wird die SPÖ an die abstrusen Berichte aus dem Blog gekettet. Das ist insofern perfide, als dass die SPÖ auf diesem Blog mindestens so sehr wie die ÖVP bizarr angeschüttet wird. Des politischen Kalküls willens verhilft man diesem Blog nicht nur zu Reichweite, sondern impliziert, dass die Sozialdemokratie etwas damit zu tun haben könnte. Das ist ein Tiefschlag und sprengt jede Grenze dessen, was wir an politischem Diskurs in der österreichischen Innenpolitik kennen. Dabei reichen wenige Sekunden auf der Seite, um zu wissen, dass dahinter ein offenbar verwirrter Mann steht, der augenscheinlich Hilfe bedarf. Mit solch einem Online-Fund hat man verantwortungsbewusst umzugehen; anstatt so etwas dem politischen Gegner umhängen zu wollen.

  • Ablenkungsmanöver

Die ÖVP möchte, dass wir über diese scheinbare große Verschwörung gegen Sebastian Kurz reden, weil es auch gut von dem stotternden ÖVP-Wahlkampf und einigen peinlichen Auftritten des Spitzenkandidaten ablenkt. Statt Inhalte zu präsentieren, die auch in diesem Post nicht vorkommen, werden Sebastian Kurz und das Unrecht, das ihm angetan wird, zum Hauptinhalt der politischen Debatte. Das ist die vierte Immunisierungsstrategie.

Das ist rhetorisch kein Wahlkampf mehr, sondern hat religiöse Züge. Kurz eskaliert damit seine ganze Partei in eine Bunker-Mentalität, in der die SPÖ der Feind ist, gegen den es um Sieg oder Vernichtung geht. Das ist weit weg von normalem Wahlkampf und erinnert an die Zwischenkriegszeit. Mit dieser Strategie immunisiert sich die ÖVP auf vierfache Weise auch gegen berechtigte Kritik und tackert diese an bizarre Blogs ohne Reichweite oder politische Relevanz.

Dies schiebt sie implizit der Sozialdemokratie unter, die so komplett delegitimiert werden soll. Kurz konstruiert damit eine Situation, in der er der gejagte Held ist, weil er als Einziger für Österreich steht. Dies wird zum Hauptinhalt des ÖVP-Wahlkampfes: Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist. (Natascha Strobl, 31.7.2019)