In der ganzen Eurozone sind die Mietpreise nur verhalten gestiegen, während Häuserpreise stark angezogen haben, sagt die EZB.

In Deutschland und Österreich taucht der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, regelmäßig als Buhmann in öffentlichen Debatten auf. Meist ist das der Fall, wenn Ökonomen die niedrigen Zinsen beklagen, die Sparer derzeit bekommen. Aktuell wird Draghi für eine andere Misere verantwortlich gemacht: steigende Mieten.

Das Argument geht so: Die EZB hat als Folge der Wirtschaftskrise die Zinsen auf null gesenkt. Deshalb ist es für Investoren uninteressant geworden, ihr Geld auf dem Sparbuch zu belassen. Auch andere Investments zahlen sich nicht aus. Als Folge der EZB-Politik werfen österreichische und deutsche Staatsanleihen keine Renditen ab. Also investieren mehr Menschen, die ihr Geld nicht auf der Börse riskieren wollen, in Immobilien. Das treibe die Preise für Wohnungen und Häuser an. Die höheren Preise geben Investoren ihrerseits weiter, indem sie für Wohnungen höhere Mieten verlangen. Das trifft alle, die sich kein Eigenheim leisten können, junge Familien, ärmere Menschen.

Trugschluss

Der deutsche Ökonom Sebastien Dullien, der das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf leitet, hat nun Einwände gegen diese Darstellung erhoben. Dullien sagt, dass der ganzen Draghi-ist-Schuld-Argumentation ein Trugschluss zugrunde liegt.

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Mario Draghi hat die Geldpolitik ständig gelockert.
Foto: Reuters/Ralph Orlowski

Wenn ein Investor ein Haus kauft und es vermietet, kann er derzeit zufrieden damit sein, wenn er im Verhältnis zum eingesetzten Kapital drei Prozent Rendite macht. Angenommen die EZB hätte die Zinsen nicht gesenkt und für eine österreichische Staatsanleihe gebe es eine jährliche Rendite von drei Prozent: In diesem Fall würde der Investor nur in Immobilien investieren, wenn er die Mieten deutlich nach oben schrauben kann. Denn jetzt muss er mit der Wohnung viel mehr als drei Prozent Rendite machen, damit sich sein Kauf lohnt.

Wo die Preise steigen

Welches Argument stimmt also nun? Treibt Draghi die Mietpreise?

Unter Ökonomen ist unbestritten, dass die EZB zum Anstieg der Immobilienpreise beiträgt. Dieses Phänomen lässt sich in der ganzen Eurozone beobachten: Die Häuserpreise sind laut EZB im vergangenen Jahr um fünf Prozent gestiegen, was deutlich über der Inflation war. In manchen Ländern lag das Plus darüber. Die Entwicklung war vor allem in Staaten beachtlich, in denen 2008 keine Immobilienblase geplatzt ist, etwa in Österreich.

Über die vergangenen zehn Jahre lag der Zuwachs bei Wohnungspreisen laut Oesterreichischer Nationalbank landesweit bei rund 75 Prozent. In Wien betrug der Anstieg um die 90 Prozent.

Bevölkerungswachstum als Faktor

Doch dürfte davon nur ein Teil auf die Politik der EZB zurückzuführen sein. Wie sich Häuser- und Mietpreise entwickeln, hängt von vielen Faktoren ab. Hier spielt auch Bautätigkeit und die Bevölkerungsentwicklung eine Rolle. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich ist die Bevölkerung schneller gewachsen, als erwartet wurde. Verantwortlich dafür war vor allem der starke Zuzug von EU-Bürgern aus Osteuropa und Deutschland. Die steigende Bevölkerungszahl bedeutet einen höheren Bedarf an Wohnraum.

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So manches Sparschwein muss geknackt werden, um Mieten finanzieren zu können.
Foto: Reuters

Die Oesterreichische Nationalbank errechnet regelmäßig, welcher Anteil der Preissteigerungen nicht durch Faktoren wie Bautätigkeit und Bevölkerungswachstum erklärbar ist. Demnach liegen die Preise in Österreich 13 Prozent höher, als durch fundamentale Daten erklärbar war. In Wien sind es 23 Prozent. Doch das ist nicht allein die Schuld der EZB. Viele Anleger haben infolge der Börsenturbulenzen 2008 in Immobilien investiert, ihre Entscheidung hatte also nichts mit der EZB zu tun.

Mieten steigen langsamer

Wenn aber weniger als ein Viertel bis ein Fünftel der Preissteigerungen bei Häusern über Notenbankpolitik erklärbar ist, wie viel überträgt sich davon auf Mieten? Studien darüber gibt es nicht, wie der Ökonom Josef Baumgartner vom Forschungsinstitut Wifo sagt. Fakt ist, dass im Euroraum beobachtet wird, dass Mieten langsamer steigen als die Immobilienpreise. Der Anstieg bei Mieten lag zuletzt sogar unter der Inflation. Diese Divergenz gibt es auch in Österreich. Der Immobiliendienstleister EHL hat zum Beispiel errechnet, dass in Wien seit dem Jahr 2012 die Preise für Eigentum um 23 Prozent gestiegen sind. Bei Mietwohnungen mit Mietzins, der frei vereinbart werden kann, waren es ohne Betriebskosten nur 8,8 Prozent.

Ein Mix an Gründen

Das spricht für die Argumentation des Ökonomen Dullien, wonach die EZB nicht schuld daran ist. Für die Mietpreisentwicklung ist es jedenfalls nicht nur relevant, wie Anleger ticken. Entscheidend ist auch, wie ein Markt aufgebaut ist. In Wien wirkt sich die Zahl der vielen öffentlich vermieteten Wohnungen preisdämpfend aus.

Ökonom Baumgartner sagt, dass ein Mix aus Gründen die Mietpreise beeinflusst, Draghi sei nur ein Faktor. Lukas Sustala von der wirtschaftsliberalen Agenda Austria rechnet damit, dass sich die Entwicklung mit der Zeit stärker am Mietmarkt durchschlägt. Durch steigende Immobilienpreise können sich viele junge Menschen schwerer ein Haus leisten, sie mieten also länger. Die Nachfrage am Mietmarkt steigt – und das werde die Preise treiben. (András Szigetvari, 31.7.2019)