Als eine 19-Jährige Mitte Mai im Hawke's Bay Hospital in Hastings, Neuseeland einen Sohn zur Welt brachte, währte die Freude nur kurz. Ohne vorherige Ankündigung erschienen Mitarbeiter der Oranga Tamariki, des neuseeländischen Ministeriums für Kinder, an ihrem Wochenbett, um das Neugeborene in staatliche Obhut zu überführen. Der Grund: Kindesgefährdung. Der jungen Mutter war erst im Jahr zuvor unter ähnlichen Umständen ein weiteres Baby von der Behörde abgenommen worden. Nun weigerte sich die junge Frau, ihr Kind zu übergeben. Nach zähen Verhandlungen zwischen Oranga Tamariki (Ministerium für das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen), Polizei, Hebammen und Familie der jungen Mutter wurde entschieden, dass sie ihr Kind behalten darf – vorerst.

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Demonstranten fordern vor dem Parlament in Wellington eine grundlegende Reform der Oranga Tamariki.
Foto: REUTERS / Praveen Menon

Der Fall warf ein Schlaglicht auf die Situation vieler Maori-Familien in Neuseeland und war der Beginn der Protestbewegung "Hands Off Our Tamariki" (Hände weg von unseren Kindern). Schon länger beklagen Vertreter der indigenen Bevölkerung Neuseelands die unverhältnismäßig hohe Zahl maorischer Kinder in staatlichen Pflegeeinrichtungen. Die Maori machen etwa 15 Prozent der neuseeländischen Bevölkerung aus, jedoch sind über 60 Prozent der Kinder in staatlicher Obhut maorisch. Dokumente zeigen, dass im vergangenen Jahr jede Woche durchschnittlich drei maorische Babys im Alter von weniger als drei Monaten von der Oranga Tamariki abgeholt wurden. Das sind doppelt so viele Kinder wie aus nichtmaorischen Familien.

"Gestohlene Generation"

Die Oranga Tamariki ermittelt anhand von vier Indikatoren, ob ein Kind gefährdet sein könnte. Dazu zählen der Bildungsgrad der Mutter, die Angewiesenheit der Familie auf staatliche Leistungen, mögliche Gefängnisstrafen der Eltern sowie Fälle von Missbrauch oder Vernachlässigung in der Familie. Im Fall der jungen Mutter im Hawke's Bay Hospital war von häuslicher Gewalt und täglichem Cannabiskonsum des Vaters die Rede. Es sind Vorwürfe, die die Familien der Betroffenen zurückweisen.

Vertreterinnen von "Hands Off Our Tamariki" zu Gast im neuseeländischen "Morning Report".

Vertreter der Protestbewegung "Hands Off Our Tamariki" kritisieren das Vorgehen der Behörde als diskriminierend. Die Zerstörung maorischer Familien sei eine Nachwirkung des Kolonialismus und lasse Parallelen zur Behandlung indigener Völker in anderen Ländern erkennen. In Australien waren bis in die späten 1960er-Jahre indigene Kinder systematisch aus ihren Familien gerissen und in die weiße Mehrheitsgesellschaft zwangsintegriert worden. Die betroffenen Kinder wurden als "gestohlene Generation" bekannt. In Neuseeland protestierten nun am Dienstag tausende Maori landesweit gegen die von ihnen als diskriminierend empfundenen Praktiken der Oranga Tamariki. Ein offener Protestbrief von "Hands Off Our Tamakiri" wurde von 17.000 Menschen unterzeichnet.

Protestcamp gegen Bauprojekt

Es war nicht der einzige Protest von Maori am Dienstag. Zur selben Zeit gingen Menschen auf die Straße, um gegen ein Bauprojekt nahe der Stadt Auckland zu demonstrieren. Hunderte Demonstranten schlugen in Ihumātao, einem Landstrich südlich von Auckland, ihre Zelte auf. Das Gelände war seit dem 14. Jahrhundert von Maori besiedelt gewesen, bevor eine Privatfamilie das Land aufkaufte. Da bezahlbarer Wohnraum in Auckland knapp ist, erwarb 2016 die neuseeländische Fletcher Building das Gelände mit dem Ziel, dort mehrere hundert Wohngebäude zu errichten.

Maori-Vertreter reagierten auf die Pläne mit heftigem Protest, da Ihumātao für sie einen hohen spirituellen, kulturellen und geschichtlichen Wert hat. Unter dem Namen Soul (Save Our Unique Landscape, Rettet unsere einzigartige Landschaft) formierte sich auch hier eine Protestbewegung. Seither campen Aktivisten vor Ort, um die Bebauung zu verhindern. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern ordnete vergangenen Freitag einen Baustopp an, bis eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung erzielt werden kann. Daran glauben die Protestierenden nicht und bleiben an Ort und Stelle. (Ricarda Opis, 31.7.2019)