Man hat billige Arbeitskräfte gebraucht für jene Jobs, für die man keine einheimischen Kräfte fand.

Foto: www.corn.at Heribert CORN

Eigentlich sollte diese kleine Kolumne schon im Sommerurlaub sein, doch dann habe ich die Geschichte der Frau S. im aktuellen "Falter" gelesen. Nina Horaczek beschreibt den Fall der 82 Jahre alten Frau S., die in den 1970er-Jahren als Gastarbeiterin nach Österreich gekommen ist. 24 Jahre lang hat sie als Putzfrau gearbeitet. Mit 1. Jänner 2018 strich ihr das Land Oberösterreich die Wohnbeihilfe für ihre 20-Quadratmeter-Wohnung. Der Grund: Frau S. schafft die Deutschprüfung nicht.

Für Nicht-EU-Bürger hat die schwarz-blaue Landesregierung in Oberösterreich ab 1. Jänner 2018 die Vorgaben für einen Wohnzuschuss deutlich erschwert. Für den Erhalt der Wohnbeihilfe wird von Drittstaatsangehörigen das Sprachniveau A2 verlangt, inklusive Deutschkurs und Prüfung.

Die 82-jährige Frau S. leidet an den Folgen eines Schlaganfalls und "hat die wenigen deutschen Worte", die sie konnte, verlernt. "Auch im Serbischen tut sie sich seitdem schwer, die richtigen Worte zu finden", schreibt Horaczek.

"Du arbeiten!"

Nun bekommt Frau S. dank der Berichterstattung eine Stimme. Viele andere Betroffene bleiben stumm. So stumm, wie sie jahrzehntelang die Böden und Klos geputzt oder Ziegel an Ziegel gereiht haben. Jahrzehntelang hat man im gebrochenen Deutsch mit ihnen in der Fabrik oder in Behörden kommuniziert. Für Deutschkurse hatten die meisten von ihnen keine Zeit: Arbeit, Kinderbetreuung, an den Wochenenden die Fahrt "nach Hause", um dort weiterzuschuften.

Das verquere Konzept der Gastarbeit hat sich selbst ad absurdum geführt. Die Gastarbeiter sind geblieben. Sie altern und sterben in diesem Land. Nach Jahrzehnten schwerer körperlicher Arbeit stehen ihnen oft nur kleine Pensionen zur Verfügung. Das Schicksal von Frau S. aus Oberösterreich ist gewiss ein besonderer Härtefall. Er zeugt aber von großer Unmenschlichkeit einer Sozialpolitik, die die Ärmsten der Armen trifft.

Wo bleibt der Aufschrei?

Österreich und die Österreicher scheinen schnell vergessen zu haben, dass man die ersten Gastarbeiter aus Jugoslawien und der Türkei in Zeiten der Vollbeschäftigung ins Land geholt hat. Man hat billige Arbeitskräfte gebraucht für jene Jobs, für die man keine einheimischen Kräfte fand. Die Gastarbeiter kamen, arbeiteten hart, und die erste Generation blieb in ihrer Rolle des höflichen arbeitenden Gastes: nichts fordern, still sein, dankbar sein.

Sie haben hier geschuftet, haben Steuern bezahlt. Frau S. und andere können sich jetzt aber nicht auf die Hilfe des Staates verlassen. Der zuständige Wohnbaustadtrat und Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner sagt, der schlechte psychische und physische Zustand sei "per se noch kein Grund, auf den Nachweis von Deutschkenntnissen zu verzichten". Wo bleibt eigentlich die Dankbarkeit, Herr Haimbuchner? Wo bleiben Dankbarkeit und Mitgefühl der restlichen Gesellschaft, wo der Aufschrei gegen die unmenschliche Politik? ( Olivera Stajić, 31.7.2019)