In dieser Ausgabe des Familienrats antwortet der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

Meine Tochter kommt bald in die vierte Klasse Volksschule. Ich weiß, dass sie in der Schule recht beliebt ist, viele Freundinnen hat. Gestern hat sie mir erzählt, dass sie und ihre Freundinnen manchmal gemein zu einem Mädchen aus der Klasse sind. Warum? "Weil sie blöd ist", war die vage Antwort.

Auch der Umgang mit negativen Gefühlen muss erst gelernt werden.

Sie lassen sie in den Pausen links liegen, lassen sie nicht mitspielen und ärgern sie sogar gezielt, wenn ich es richtig verstanden habe. Es klingt so, als ob meine Tochter dabei die treibende Kraft ist. Das macht mir große Sorgen, denn so ein Verhalten haben wir ihr daheim nie beigebracht. Was soll ich tun?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Ich verstehe, dass das eine unangenehme, ja peinliche Situation für Sie ist. Wichtig in Ihrer Reaktion darauf ist, zwei grundlegende Ebenen voneinander zu trennen: Verhalten und Gefühl.

Auf der Verhaltensebene geht es darum, Ihrer Tochter unmissverständlich deutlich zu machen, dass Sie ein solches Verhalten von ihr nicht dulden – egal wem gegenüber. Die Werte, die bei Ihnen zu Hause gelten, sind auch außerhalb der eigenen vier Wände gültig. Und dazu gehört offenkundig in Ihrer Familie auch ganz wesentlich ein würdevoller Umgang mit anderen Menschen.

Das andere ist die Gefühlsebene. Und auf der gilt: Gefühle kann man nicht verbieten. Also müssen Sie wohl oder übel akzeptieren, dass Ihre Tochter diese Klassenkameradin nicht mag. Lassen Sie sich doch von Ihrer Tochter schildern, was es genau ist, das sie an der Mitschülerin nicht ausstehen kann. Das hilft ihr dabei, ein klareres Bild von ihren eigenen Gefühlen und von deren Hintergründen zu bekommen. Und dann erklären Sie ihr: Es ist erlaubt, dass man jemanden nicht mag. Aber es ist verboten, jemanden deshalb zu mobben.

Stellt sich die Frage: Wie geht man damit um, wenn man jemanden nicht leiden kann? Auch das will und muss gelernt werden. Das bedeutet, auch darüber sollten Sie mit Ihrer Tochter reden und ihr zugleich vorleben, wie Sie selbst es damit halten, wenn Sie jemanden absolut nicht riechen können. In der heutigen Erziehungslandschaft wird oft unterschätzt: Auch der Umgang mit negativen Gefühlen muss erst gelernt werden. Am besten am lebendigen Vorbild. (Hans-Otto Thomashoff, 25.8.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand