Stichwort Schuldenbremse: Der liberale Ökonom Franz Schellhorn fordert von österreichischen Politikern schwedische Spartugenden ein.

Als der schwedische Finanzminister Göran Persson im Laufe des Jahres 1994 einer Reihe von US-Fondsmanagern gegenübersitzt, macht er eine folgenschwere Entdeckung: Nicht mehr das schwedische Parlament entscheidet über die weitere Zukunft des Landes, sondern die Kapitalmärkte. Genauer gesagt junge Absolventen von Eliteunis, die Schweden nur von der Landkarte her kennen, wenn überhaupt. Zu diesen musste Persson pilgern, um Geld aufzutreiben. Schweden war zu diesem Zeitpunkt nämlich so gut wie pleite. Die hohen Staatsschulden und die damit verbundenen Zinszahlungen lasteten schwer auf dem schwedischen Haushalt, die Pensionen waren kaum noch zu bezahlen, im öffentlichen Haushalt klaffte ein Loch von zwölf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Keine angenehme Situation, zumal den Schweden an den Märkten kaum noch jemand Geld leihen wollte, weshalb Persson eben auf Financiers aus den USA angewiesen war. Diese hörten sich seine Pläne aufmerksam an, wollten vom eingefleischten Sozialdemokraten aber wissen, warum amerikanische Anleger das teure schwedische Pensions-, Bildungs- und Sozialsystem finanzieren sollten. Sie forderten eine Abkehr vom Wohlfahrtsstaat. Persson war empört, aber auch er wusste, dass sich Schweden radikal ändern musste.

Knallharter Sparkurs

Um die Autorität über die politischen Entscheidungen in den Schwedischen Reichstag zurückzuholen, wurde ein knallharter Sparkurs mit tiefen Einschnitten in das Sozialsystem verabschiedet. Zudem wurde im Jahr 2000 eine Budgetregel eingeführt, die garantieren sollte, dass der öffentliche Haushalt über den Konjunkturzyklus hinweg Überschüsse erwirtschaftet.

Defizite seit 1954

Mit Erfolg. Heute hat unser einstiges Vorbildland nur noch halb so hohe Staatsschulden wie Österreich (in Relation zum BIP). Wer hierzulande nach dem 31. Dezember 1954 zur Welt gekommen ist, hat hingegen noch keinen Finanzminister erlebt, der am Ende eines Jahres noch Geld in der Kasse übrig gehabt hätte. Der Bundeshaushalt ist seither immer im Minus, in guten wie in schlechten Zeiten. Einzig die Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger geben hin und wieder weniger Geld aus, als sie einnehmen.

Welches Schweinderl hätten S' denn gern? Das, in dem was drin ist? Dieser – nachvollziehbare – Wunsch der Bürger an den Bund bleibt seit Jahrzehnten ungehört.
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Verharren die Zinsen an der Nulllinie, ist die permanente Schuldenpolitik nicht weiter schlimm. Steigen sie aber an, haben wir ein gewaltiges Problem. Respektive die nachkommenden Generationen. Um das zu verhindern, könnte Österreich der permanenten Schuldenpolitik per Verfassung enge Grenzen setzen. In den Reihen von ÖVP, FPÖ und Neos ist eine gewisse Bereitschaft erkennbar, was auch schon jede Menge Gegner auf den Plan ruft. Links der Mitte wird argumentiert, dass jetzt nicht die Zeit für Überschüsse sei. Jetzt, wo die Zinsen so niedrig seien, müsse sich der Staat kräftig verschulden, um ordentlich investieren zu können. Eine Schuldenbremse wäre genau verkehrt, weil dann Geld für den Bau neuer Wohnungen, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen fehlen würde. Wir würden uns also der eigenen Zukunft berauben.

Negativbeispiel Deutschland

Einstürzende Wohlfahrtsstaaten? Zerbröselnde Infrastruktur? Fehlende Mittel für den Klimaschutz? In Ländern wie Schweden oder der Schweiz ist davon nichts zu sehen. Sie haben strikte Schulden- und Ausgabenbremsen, glänzen aber mit ausgeglichenen Budgets, bestens ausgebauten Sozialsystemen, moderner Infrastruktur, hohen Umweltstandards und niedrigen Schulden. Dem wird gerne Deutschland entgegengehalten, das zwar einen Budgetüberschuss nach dem anderen ausweist, dafür aber unter wegbröselnden Brücken und Autobahnen zu leiden habe.

Nicht abgerufenes Geld

Stimmt. Das liegt aber nicht an vermeintlich gekürzten Mitteln, sondern an den Milliarden, die zwar für die öffentliche Infrastruktur bereitgestellt sind, aber nicht abgerufen werden. Weil Verfahren zu lange dauern, die Anforderungen zu hoch sind, Länder und Gemeinden die erforderliche Kofinanzierung nicht leisten wollen oder die Bevölkerung vor Ort Widerstand leistet.

Was nicht heißen soll, dass Schuldenbremsen grundsätzlich eine tolle Sache wären. Sie sind per se weder gut noch schlecht, es kommt auf deren Ausgestaltung an. So wie auch öffentliche Investitionen nicht per se gut oder schlecht sind. Entscheidend ist, wofür das Geld verwendet wird, wie gerade Österreich zeigt. Das Land steckt jährlich fast siebenmal mehr Geld in den öffentlichen Konsum als in öffentliche Investitionen. Jetzt ist auch öffentlicher Konsum nicht zwangsläufig des Teufels, Gehälter für kompetente Lehrer und engagierte Beamte sind schließlich auch eine Investition in die Zukunft. Das Problem sind die unzähligen Gelder, die Jahr für Jahr ungehindert in ineffiziente Strukturen, heillos überteuerte Infrastrukturprojekte und in die organisierte Wählerbestechung fließen. Weil sich Politiker eben leichter für (sofort spürbare) Geldgeschenke begeistern lassen als für Investitionen, die erst nach mehreren Legislaturperioden sichtbar werden.

Parlament statt Märkte

In der Schweiz käme niemand auf die Idee, einen Überschuss zur Erhöhung der Pensionen einzusetzen. So wie in Schweden jede Regierung abgewählt würde, die in Zeiten der Hochkonjunktur neue Schulden machte. Die genannten Länder unterscheiden sich von Österreich eben durch einen verantwortungsvollen Umgang mit fremdem Geld. Und genau darum geht es. Jedenfalls dann, wenn man die folgenschwere Entdeckung vermeiden will, dass die Entscheidungsgewalt über den politischen Weg eines Landes nicht mehr im Parlament, sondern an den Finanzmärkten getroffen wird. (Franz Schellhorn, 1.8.2019)