Personalmangel an österreichischen Gerichten: Es stapeln sich die Akten.

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Die österreichische Justiz steht vor dem Zusammenbruch, so die drastische Schlussfolgerung von Richtern, Staatsanwälten, Kanzleiangestellten und Beamten der Justizwache. Auch der derzeit zuständige Justizminister Clemens Jabloner warnte vor kurzem vor einem "stillen Tod" der Justiz. Er fordert dringend mehr Geld und Personal, hat aber als Übergangsminister keinen budgetären Spielraum.

Vor allem in Bezirksgerichten kann die anstehende Arbeit nicht mehr erledigt werden. In Bruck an der Leitha ist die Situation besonders dramatisch. Die administrativen Mitarbeiter des Bezirksgerichts können aufgrund der Personaleinsparungen der letzten Jahre die anstehende Arbeit nicht mehr verrichten.

Gerichtsvorsteherin Maria Hartl aktivierte deshalb als Erste in Österreich einen Notfallplan: Der Parteienverkehr wird nur noch eingeschränkt geführt, einzelne Abteilungen sind zeitweise unbesetzt, und bei den laufenden Verfahren werden Prioritäten gesetzt. Einzelne Mitarbeiter leisten unbezahlte Überstunden, um den Betrieb noch aufrechtzuerhalten, berichtete das Ö1-"Morgenjournal".

Vorgängerregierungen unter Kritik

Der Aufschrei in der Justiz hat nun auch das Parlament erreicht. Alfred Noll, Justizsprecher der Liste Jetzt, gibt der ÖVP die Schuld an dem Ressourcenmangel. Sie besetze seit über zehn Jahren Justiz- und Finanzministerium und habe "unseren Rechtsstaat verantwortungslos kaputtgespart". Nur wenn die ÖVP auf diese Ministerien in Zukunft verzichte, sei das aktuelle Debakel zu beheben.

Auch die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH) und jetzige Justizsprecherin der Neos, Irmgard Griss, gibt der "verantwortungslosen Politik" die Schuld an der budgetären Notlage. Weiters betont Griss, dass die Auswirkungen früher oder später auch für die Bevölkerung spürbar sein werden. "Wenn Verhandlungen nicht geführt, Urteile von den Kanzleien nicht ausgefertigt werden können, weil kein Personal da ist, dann ist im Rechtsstaat Gefahr in Verzug", so Griss.

"Seit Jahren warnt die SPÖ vor dem Zusammenbruch der Justiz, weil die Regierung Kurz die Justiz finanziell und personell ausgehungert hat", sagt SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. Er appelliert an die kommende Regierung und warnt vor Konsequenzen des Sparkurses: "Wer bei der Justiz spart, gefährdet den Rechtsstaat, und wer den Rechtsstaat gefährdet, sät Gewalt."

Die FPÖ fordert einen Kassasturz – wenn möglich schon unter der jetzigen Regierung. Der blaue Justizsprecher Harald Stefan gab zu, auch in der vergangenen Regierung mit freiheitlicher Beteiligung die Fachkräfte in der Justiz zu wenig beachtet zu haben. Das richterliche Personal habe eine bessere Lobby.

Böhmdorfer: "Unabhängige Prüfung"

Im Gespräch mit dem STANDARD fordert der ehemalige Justizminister Dieter Böhmdorfer eine "ständige Prüfung von Arbeitsabläufen der Richter und Staatsanwälte durch externe Autoritäten". Während der ersten schwarz-blauen Regierung war Böhmdorfer zwischen 2000 und 2004 selbst vier Jahre lang Justizminister auf einem FPÖ-Ticket. Jede Überprüfung von außen werde mit dem "Killerargument", die Freiheit der Richter und Staatsanwälte sei in Gefahr, im Keim erstickt. Die Freiheit der Justiz bliebe durch externe Wirtschaftsprüfer aber erhalten, betont Böhmdorfer.

Auch unter seiner Ägide gab es Beschwerden von der Richtervereinigung über akuten Personalmangel. Er sah darin eine "Polemik", die nicht sein Ressort, sondern das Kanzleramt betreffe. Er glaubt, Verbesserungen im Arbeitsablauf könnten nicht von den Richtern selbst, sondern nur von unabhängigen Sachverständigen erarbeitet werden. Solange dies nicht geschehe, übernehme die Justiz laut Bohmdörfer "eine Mitverantwortung für ihren stillen Tod".

Langjährige Sparmaßnahmen

Seit Wochen verdichten sich die Meldungen über grobe Mängel innerhalb der Justiz. Die Justizwache kämpft mit Nachwuchsproblemen, und die Kanzleikräfte an den Gerichten seien am absoluten Limit, seitdem seit Jahren nur noch jede zweite Stelle nachbesetzt wird. Auch die Gerichtsdolmetscher kündigten letzte Woche an, im September ihre Arbeit aufgrund zu niedriger Bezahlung niederzulegen. Die Ex-Justizministerin Maria Berger (SPÖ) fordert in einer Online-Petition die "Rettung der Justiz". Berger war bis März diesen Jahres Richterin am Europäischen Gerichtshof.

Justizminister Clemens Jabloner will zur Diskussion über die Justiz nichts mehr beitragen – er habe bereits gesagt, was er zu sagen hatte, lässt er sinngemäß ausrichten. Er will für seinen Nachfolger einen Wahrnehmungsbericht verfassen und hofft auf zukünftige Budgetverhandlungen.

Die Klagen, die allenthalben aus der Justiz kommen, seien nicht überzogen, ist aus dem Ministerium zu hören. Dass die "Probleme und Baustellen" so groß werden konnten, sei den letzten Regierungen bzw. Justizministern zuzuschreiben. (lalo, gra, 1.8.2019)