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In Taiwan gilt die Meinungsfreiheit, oft wird sie – so wie im Bild bei einer Gedenkaktion zum Tiananmen-Massaker im Mai – für Kritik an China benützt. Nicht nur das ist Peking ein Dorn im Auge.

Foto: AP / Chiang Ying-ying

Die Anfang August in Kraft gesetzten Reiseverbote für chinesische Einzelreisende nach Taiwan sind nur der erste Schritt Pekings. Das hat die Regierung in der Nacht auf Donnerstag deutlich gemacht. Gelingt es nicht, mit wirtschaftlichem Druck die sich Wiedervereinigungswerben widersetzende Regierung unter Präsidentin Tsai Ing-wen in die Knie zu zwingen, könnten weitere Sanktionen folgen. Vor allem aber will China Einfluss auf den kommenden Wahlkampf nehmen und Tsais Wiederwahl im Jänner verhindern. Denn mit dem Stopp der Touristenflut aus China droht Taiwan ein Milliardenverlust. 2018 fuhren 2,7 Millionen Festlandchinesen auf die Insel. Meist waren sie zwar organisiert in Gruppenreisen unterwegs, aber darunter waren auch 1,07 Millionen Personen, die als betuchte Individualtouristen Taiwan besuchten.

Einen Tag nach Bekanntgabe des Reisestopps, den eine "Vereinigung für Tourismusaustausch über die Taiwan-Meeresstraße" verfügte, meldete sich am Donnerstag das Parteiblatt "Global Times" mit unverblümten Drohungen zu Wort. Die Zeitung nannte die "Aussetzung des individuellen Reiseverkehrs eine von Peking ausgespielte Wirtschaftskarte, die als Warnung an Taiwan gedacht ist". Weiters hieß es: "Taiwans starke Abhängigkeit von der Wirtschaft des Festlandes gibt Peking viele wirtschaftliche Optionen, um die dortigen sezessionistischen Kräfte niederzuschlagen."

US-Zwischenstopps als Ärgernis

Die Pekinger Führung wirft Präsidentin Tsai vor, alles daranzusetzen, dass der Status quo für ihre demokratisch gewählte Regierung bewahrt wird, von einer Wiedervereinigung mit der Volksrepublik nichts wissen zu wollen und nicht einmal mit China übereinzustimmen, dass Taiwan Teil einer – wie auch immer definierten – chinesischen Nation sei. China betrachtet die Insel hingegen als abtrünnige Provinz, seit die nationalchinesische Kuomintang nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg 1945 bis 1949 dorthin geflüchtet war und sich dort als Republik China konstituiert hatte. Deren Parteigänger sind mittlerweile die Gegner von Tsais Demokratischer Fortschrittspartei, die Kuomintang ist mit Peking gemeinsam der Ansicht, dass es nur ein China gibt und Taiwan dessen Teil sei – auch wenn beide Seiten unterschiedlicher Meinung darüber sind, wer dieses China politisch repräsentiert.

Peking schäumte Mitte Juli vor Wut, als Tsai bei ihrer Reise in vier karibische Staaten, die Taiwan diplomatisch weiterhin anerkennen, zweimal Zwischenstopp in den USA machte und außenpolitisch punkten konnte. Zudem bewilligte Washington neue Waffenverkäufe an Taiwan im Wert von 2,2 Milliarden Dollar und schickten seit Anfang 2019 bereits sechsmal eigene Kriegsschiffe durch die Taiwan-Meeresstraße. Die "Global Times" verwies auf geplante militärische und Marinemanöver der chinesischen Volksbefreiungsarmee vor Taiwan: Peking halte nicht nur "einfache wirtschaftliche Karten in seiner Hand". Sie fragte säbelrasselnd: "Können Taiwan und die USA erraten, was als Nächstes folgt?"

Nur der Anfang

Die englischsprachige "China Daily" stieß ins gleiche Horn. Sie bestätigte, dass das Taiwan-Besuchsverbot für Einzelreisende "aus heiterem Himmel kam" und "die erste Aktion einer Reihe von Schritten ist". Die Maßnahme sei ein Zeichen "für den Niedergang in den beiderseitigen Beziehungen seit drei Jahren", als die von Tsai geführte Demokratische Fortschrittspartei an die Macht kam. "China Daily" drohte ebenfalls: "Wenn Tsai weiter fantasiert, dass der Schwanz mit dem Hund wackeln kann, wird sie ein rüdes Erwachen erleben."

Der abrupte Stopp für Individualreisen nach Taiwan ist für Peking eine zweischneidige Maßnahme, weil er per Dekret die Reisefreiheit der Staatsbürger aufhebt. Um den Unmut gering zu halten, erlaubt China weiterhin Gruppenreisen nach Taiwan. Darauf spezialisierte Reisebüros wie China Comfort Tourism, die 40 Prozent ihres Geschäfts bisher mit Einzelreisenden und 60 Prozent mit Gruppen machten, erklärten "China Daily", sie würden ihre Angebote für Gruppenreisen anpassen, um den Bedarf bisheriger Einzelreisender besser abzudecken.

Reisende als Geiseln

Im chinesischen Internet macht sich aller Zensur zum Trotz Frust über die Gängelung der Bürger Luft. "Sie nehmen uns als Geiseln", schrieb ein Blogger. Anwälte kritisierten, dass es für das Reiseverbot keine Rechtsgrundlage gebe. Die "Vereinigung für Tourismusaustausch", die auf der Webseite des Kulturministerium das Verbot bekanntgab, habe nicht die Befugnis dazu. Über Genehmigungen hätten nur lokale Ausreisebehörden oder Staatsratsministerien zu entscheiden.

Chinas Staatsrat hatte im Juni 2011 individuelle Besuchsreisen nach Taiwan als Pilotprogramme für Bürger zuerst in den Metropolen Peking, Schanghai und Xiamen erlaubt. Drei Jahre nachdem 2008 die ersten Gruppenreisen nach Taiwan genehmigt worden waren, war die Freigabe auch für Einzelreisen ein Zeichen der Entspannung unter der Regierung der pekingfreundlich gesinnten Kuomintang. Im März 2015 wurde das Programm für Individualreisende dann auf 47 Städte ausgeweitet.

Schon bisher weniger Boom

Der Reiseboom aus China schwächte sich wegen der Spannungen mit Peking unter der 2016 gewählten Regierung Tsai rasch wieder ab. 2015 fuhren Festlandchinesen 4,18 Millionen Mal nach Taiwan und stellten damit 40 Prozent aller weltweiten Touristen, die die Inselrepublik besuchten.

2016 ging ihre Zahl auf 3,5 Millionen und 2018 auf 2,69 Millionen zurück, darunter rund 40 Prozent Einzelreisende. Laut Reuters rechnen Tourismusexperten nun mit Mindereinnahmen für Taiwan von bis zu einer Milliarde Dollar. Peking hofft, dass solche Verluste zur Munition im Wahlkampf gegen Präsidentin Tsai werden. (Johnny Erling aus Peking, 1.8.2019)