Vor Unglück wankend: Warwara Michajlowna (Genija Rykova).


Monika Rittershaus

Die Probleme der Sommergäste sind so langweilig, dass es die Betroffenen selber ekelt: schlecht verheiratet, unglücklich verliebt, zukunftslos, Sinnlosigkeitsempfindungen. Die "soziale Notwendigkeit" ihrer Existenz, wie es Warwara (Genija Rykova) defätistisch sagt, ist überschaubar. Maxim Gorki hat diese Wohlstandsdepression, die sich heute weitgehend überholt hat (weil sich niemand mehr für sie interessiert), im Vorfeld der Revolution von 1905 geschrieben. Er wollte es der "bourgeoise-materialistischen Intelligenz" einmal so richtig zeigen.

Diese Bourgeoisie ist in einer Zeit profunder Krisen (Rezession, russisch-japanischer Krieg, zaristische Autokratie) mit dem Bauchpinseln beschäftigt und hat nicht die geringste Idee, wie sie sich selbst – geschweige denn dem eigenen Land – wenn schon nicht helfen, so zumindest nicht auf den Wecker gehen soll. Dementsprechend spart Gorki nicht mit Sarkasmus.

Der Mann ist wie Gummi

Dieser Sarkasmus wird bei den Salzburger Festspielen auf der Perner Insel im hohen Bogen über die Bühne gespien. Ekel, Hass, Trauer überall. Diese überschießende Ausbruchssehnsucht geht in Gorkis Stück von den Frauen aus, sie sind die starken Figuren mit der größten Wut (auch auf sich selbst).

Regisseur Evgeny Titov, kurzfristig für die erkrankte Mateja Koležnik eingesprungen, reißt seinen Sommergästen die Maske der Zivilisierung sofort herunter. In den ersten sieben Minuten drängelt über ein Dutzend Sommerfrischler auf die Bühne und erhofft dort irgendetwas Erlösendes. Da stehen sie dann in ihren traurig zerknitterten Anzügen und Abendkleidern und bombardieren einander mit unschönen Analysen ihrer gegenseitigen Ehen: Dein Mann ist wie Gummi, und deine Frau ist sooo, soo, soo...

Der Abend gerät zum Zwitter. Titovs panische Horde trifft auf das elegische, für Kolezniks geplante Inszenierung bereitgestelltes Bühnenbild (Raimund Orfeo Voigt): einer jener unpersönlichen Transiträume, wie sie Regiepuristen wie Michael Thalheimer oder eben Koležnik für ihr raumdefiniertes Arbeiten brauchen. An die Rampe nach vor gedrückt, mutiert ein hoch aufragender Holzverbau aus Treppen, Wandpanelen und Winkeln zum Verstecken oder Innehalten langsam vor sich hin.

Freude simulieren

In dieser luftigen Zeitlupenwelt dreht Evgeny Titov aber am Panikregler. Die im gesicherten Wohlstand lebenden Anwälte, Schriftsteller und Ärzte markieren eine hibbelige Gesellschaft, die treppauf, treppab läuft, um Freude zu simulieren und die dabei schallend ihre Traurigkeit weglacht. Selbst ein Gedicht wird so aggressiv vorgetragen, als wären die Worte zum Ausspeien gedacht.

Die Grobheit entspricht ganz dem grotesken Tonfall Gorkis. Aber sie bleibt im vordefinierten, fast somnambul intendierten Raum fremd, meist dysfunktional. Atemlosigkeit und Depression ineinanderzusetzen, das gelingt dem Abend nur in wenigen Momenten, meist dann, wenn dem konkreten Sprechakt die Bahn freigeschaufelt wurde. So aber schlägt der poetische Donner zu, etwa wenn Kalerija (Gerti Drassl) ihr unausgelebtes Lesbischsein in einem schwarzen Rüstungskleid begraben trägt und sagt: "Die Menschen treiben dahin wie Eisschollen auf dem kalten nordischen Meer ... und stoßen einander an."

Hilflosigkeit

Da darf sich auch unsere heutige Gesellschaft der Ungerührten und Vereinzelten gemeint fühlen. Doch bleiben einem am Ende die Nöte der Sommergäste in ihrer Unstimmigkeit und Lachhaftigkeit auch herzlich egal. Man möchte ihnen zurufen: So geht doch und kümmert euch um den Klimawandel oder tretet den "Omas gegen Rechts" bei! Aber da hat sich einer schon die Kugel gegeben, und alle – bis auf eine – wenden sich hilflos ab.