Ein Meister der kantablen und textgebundenen Interpretation: der deutsche Liedsänger Christian Gerhaher.

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Christian Gerhaher könnte Vertonungen des Telefonbuchs oder Paragrafen des Steuerrechts vortragen – es wäre ein erhellendes und facettenreiches Erlebnis höchster Gesangskultur. Handelt es sich um Sentenzen des englischen Dichters William Blake, vertont vom englischen Komponisten und Wortgestalter Benjamin Britten, ist jedes Wort ein Treffer, wird jeder Satz zur Analyse menschlicher Befindlichkeit. Da passte also alles: Songs and Proverbs of William Blake op. 74 wurden so zum Höhepunkt des Liederabends mit Klavierpartner Gerold Huber.

Das Duo erinnerte auch daran, dass Brittens Vokalschaffen mit dem Komponisten Henry Purcell begann. Dessen Sammlung Harmonia Sacra haben Britten und sein Lebens- und Gesangspartner Peter Pears für Klavier und Singstimme bearbeitetet. Vier Nummern aus den Purcell Realizations eröffneten im Haus für Mozart. Nun da man Job's Curse – "Hiobs Fluch"in der nach innen explodierenden Lesart von Gerhaher kennengelernt hat, weiß man auch, warum Jahwe ein Einsehen hatte mit dem "frommen Dulder": aus Angst.

In Mussorgskis Pesni i pljaski smerti – den Liedern und Tänzen des Todes -holt der Tod ein krankes Kind, ein junges Mädchen, einen betrunkenen Bauern und ein ganzes Schlachtfeld Soldaten. Die Atmosphäre, die der Sänger und der Pianist hier entwickelten, ließ den Atem anhalten. Stille und Konzentration waren greifbar.

Düstere Lieder

Zwischen vokalreichem (altem) Englisch und samtigem Russisch wurde man von glasklarem Deutsch schier geblendet – in den zwei Blöcken mit Liedern von Johannes Brahms. Wie gewohnt, setzten Gerhaher und Huber vor allem weniger bekannte und düstere Lieder aufs Programm. In Verzagen aus Fünf Gesänge op. 72/4 mit seiner virtuos rollenden Klavierstimme soll das Herz eines Verzweifelnden sich trösten mit dem Tosen von Winden und Wogen.

Auf dem Gang zum Liebchen aus Sieben Lieder op. 48/1 hört man im Klavierpart Schubert'sche Mühlräder munter sich drehen. Nur wird dieses Liebchen nicht untreu werden, sondern sterben – das legt zumindest der Kontext nahe. Dafür war An eine Äolsharfe mit seinen meisterhaften Wechseln von liedhaften und rezitativischen Momenten wie ein Gruß aus Märchenzeit. Also: ein atemberaubender Abend, dem beim Salzburger Liederzyklus noch jene von Georg Nigl (6. 8.), Matthias Goerne (8. 8.), Patricia Petibon (12. 8.), Maurom Peter (20. 8.) und Diana Damrau (22. 8.) folgen mögen. (Heidemarie Klabacher, 2.8.2019)