"Mindestens 20.000 Flüchtlinge", fast alle Männer und fast alle mit Messern bewaffnet, sah krone.at im November 2018 an der Grenze zu Kroatien vor dem "drohenden Grenzsturm" stehen. Der Presserat vermisst nun nach Beschwerden mehrerer Leser über Falschinformationen eine ausreichende Recherche und stellt "Fehlinformationen" und eine verzerrte Darstellung fest. Krone.at habe damit gegen den Ehrenkodex der Presse verstoßen, der "Gewissenhaftigkeit und Korrektheit" der Recherche verlangt, und "pauschal verunglimpft".

"Experten zur 'Krone': Jetzt kommen ganz andere", titelte krone.at am 4. November 2018 über die angeblich wartenden 20.000 und berichtete, auf einen Grenzpolizisten sei bereits eingestochen worden. Der Autor des Artikels beruft sich dabei auf Experten des Innenministeriums als Quelle für die zitierten Aussagen.

Die vom Presserat verurteilte krone.at-Story über einen drohenden Grenzdurchbruch von 20.000 überwiegend männlichen und mit Messern bewaffneten Flüchtlingen in Bosien-Herzegowina.
Foto: Screenshot krone.at

Presserat recherchierte nach: "Falsche" Angaben

Der Presserat recherchierte beim Innenministerium und beim Flüchtlingshochkommissariat der Uno (UNHCR). Die Pressestelle des Ministeriums verwies auf eine – nach dem Artikel veröffentlichte – Presseaussendung über eine angespannte Migrationslage auf dem Westbalkan, die aber unter Kontrolle sei. Laut Pressestelle waren seit Anfang des Jahres 2018 bis Anfang November mehr als 21.000 Personen illegal in Bosnien-Herzegowina eingereist seien – von einer zusätzlichen Dunkelziffer nichterfasster Migranten sei auszugehen. Für die Pressestelle seien die zitierten Aussagen "nicht verifizierbar".

Der Sprecher des UNHCR für Bosnien-Herzegowina erklärte dem Presserat, die Organisation ging im November 2018 von 6.000 bis 7.000 Flüchtlingen an der genannten Grenze aus. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden in Bosnien-Herzegowina 2018 insgesamt etwa 22.000 Ankünfte registriert. Die Angabe der "Kronen Zeitung", dass sich an der Grenze zu Kroatien mindestens 20.000 Personen aufgehalten hätten, sei falsch. Die "Kronen Zeitung" sei nicht an das UNHCR herangetreten.

Die "Krone" beteiligte sich nicht an dem Verfahren und nahm gegenüber dem Presserat nicht dazu Stellung. Sie nimmt bisher nicht am Presserat teil und erkennt das Selbstkontrollorgan der Presse nicht an.

"Nicht weiter nachrecherchiert"

Senat 1 des Presserats befand: "Der Autor des Artikels überprüfte die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die ihm von einem Mitarbeiter des BMI genannt wurde, offenbar nicht näher. Er vertraute auf die 'Ermittlerkreise' und fragte nicht weiter bei der Kommunikationsabteilung des BMI nach. Darüber hinaus hätte er auch beim UNHCR in Bosnien und Herzegowina oder bei den bosnischen Behörden um Bestätigung der Zahl ersuchen können."

Die Zahl von "mindestens 20.000" Flüchtlingen an der Grenze, die die bosnisch-kroatische Grenze durchbrechen könnten, war ein zentraler Punkt des Artikels, betont der Presserat. Auch die Behauptung der anonymen Quelle, dass 95 Prozent der Flüchtlinge und Migranten Männer seien, die fast alle mit Messern bewaffnet seien, wurde nach Ansicht des Rats "nicht weiter nachrecherchiert oder überprüft".

"Übertrieben, verzerrt, pauschal verunglimpft"

Der Senat sieht in dieser Vorgehensweise einen Verstoß gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse, wonach Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in der Recherche von Nachrichten oberste Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten sind. Zugleich habe krone.at damit gegen Punkt 7 des Kodex verstoßen, der den "Schutz vor Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierung" vorschreibt.

Der Befund des Selbstkontrollorgans: "Die unzureichende Recherche führte dazu, dass die tatsächliche Situation übertrieben und verzerrt dargestellt und Flüchtlinge und Migranten in ein negatives Licht gerückt wurden. Die Nachricht über einen möglicherweise kurz bevorstehenden 'Durchbruchsversuch von mindestens 20.000 Migranten' stuft der Senat als Fehlinformation ein, die dazu geeignet ist, die Gruppe der Flüchtlinge und Migranten zu diskriminieren und pauschal zu verunglimpfen." (red, 2.8.2019)