Helmut Newton gelang es in seinen Sequenzen, Klischees und Normen von Geschlechtern und Schönheitsidealen gleichzeitig aufzubauen und subtil zu konterkarieren.

The Helmut Newton Estate / Maconochie Photography / Taschen-Verlag

Nein, androgyn sind die wenigsten der Personen zu nennen, die Helmut Newton in seinen von blühender Fantasie und blankem Realismus, von Sinn und Sinnlichkeit, von präziser Reportagehaftigkeit und (alb)traumhaft sphärischer Entrücktheit beseelten Inszenierungen, changierend zwischen subtiler Erotik und explizitem Sex, präsentierte.

Dennoch war er, der unangefochtene Großmeister der erotischen Fotografie, es, der mit seinen Bilderwelten tradierte Rollen karikierte und konterkarierte, Normen und Ideale geschlechterspezifischer Natur infrage stellte.

Zweifellos ist der Einfluss des 1920 in Berlin Geborenen, 2004 stilecht in Hollywood bei einem Autocrash Verstorbenen auf ganze Generationen enorm – auch wenn (oder gerade weil) seine erratisch-erotischen Serien, Ikonen der Fotohistorie, bis heute kontrovers aufgenommen werden.

Modefotograf für die Vogue

Und das, obwohl Newtons Aktaufnahmen nur einen Teil seines OEuvres ausmachen, erst ab Mitte der 1970er-Jahre entstanden. Davor arbeitete er, wie er selbst sagte, als "rasender Reporter" in Berlin, Schanghai, Paris, London und Australien, wo er seine Frau kennenlernte, und danach, stilprägend, als Modefotograf für die Vogue.

Ob es ein Zufall ist, dass Newton, der Political Correctness als faschistoid ablehnte und provokativ gegen Bigotterie und Prüderie auftrat, den magischen Magnetismus phallischer Symbole wie Funk- oder Eiffelturm an den Beginn seiner Erinnerungen stellt, sei persönlicher Interpretation überlassen.

Dieser Tage erscheint die 1999 (als 35 Kilo schwere Limited Edition) erstpublizierte kritische Werkausgabe in verkleinerter, demokratischer Version, versehen mit Anmerkungen seiner konspirativen Weggefährtin June Newton. Ein Standardwerk, ein zeitloser Klassiker. (Gregor Auenhammer, 3.8.2019)