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Ólafur Elíasson nebelt die Besucherinnen und Besucher seiner Installation "Your blind passenger" ein – sie ist Teil der Ausstellung "In real life" in der Tate Modern London.

AP/Frank Augstein

Gibt es einen geeigneteren Ort für eine Retrospektive von Ólafur Elíasson als Londons Tate Modern? Der in Berlin lebende dänisch-isländische Künstler ist mit dem wuchtigen Ex-Kraftwerk am Südufer der Themse assoziiert, seit seine Installation The Weather Project 2003 die gigantische Turbinenhalle ausfüllte. Ein immenser Publikumserfolg war der 2000 eröffnete Umbau des Schweizer Architektenbüros Herzog & de Meuron schon zuvor gewesen. Erst Elíassons subtropischer Sonnenuntergang machte die Tate Modern mit nicht viel mehr als "Plastikfolie und gelben Lampen", wie er selbst scherzte, zu einem globalen Event und zum Symbol für die Weltstadt London im 21. Jahrhundert.

Ausstellungen in der Tate Modern sind oft wochenlang im Voraus ausverkauft. Auch bei Elíasson ist der Publikumsandrang im südlich angebauten Zikkurat-Gebäude riesig. Vor vielen Räumen müssen die Kunstbegeisterten erst einmal anstehen, ehe sie eine der mehr als 40 hier versammelten Skulpturen und Installationen zu sehen bekommen. Deren Titel beginnen häufig mit "your", verweisen also auf Betrachter oder Betrachterin zurück: Your uncertain shadow (2010). Die flexible englische Sprache lässt offen, ob Elíasson die Kunstfans als Individuum oder doch als Kollektiv anspricht. Angesichts der Besuchermassen dürfte Letzteres realistisch sein.

Wasser, Nebel, Licht

So ist es jedenfalls bei der Installation, deren Originaltitel Din blinde passager (2010) eine Vertrautheit des Künstlers mit dem individuellen Betrachter suggeriert. Es handelt sich um einen 39 Meter langen Gang, gefüllt mit künstlichem Nebel, der erst ganz weiß scheint, sich später gelb und blau färbt, kaum mehr als anderthalb Meter Sicht freigibt. Vielleicht könnte man sich tatsächlich in dieser Zwischenwelt verlieren, wäre da nicht die Gruppe anderer Besucher. Viele behalten die ganze Zeit über Mobiltelefon oder Kamera in der Hand, entweder das Kunstwerk oder sich selbst beim Erleben des Kunstwerks filmend.

Elíasson hat es immer wieder geschafft, die Natur und ihre Elemente – Wasser, Nebel, Licht und seine Brechung – ins Museum zu holen. Idealerweise stellen seine Installationen eine Art von Meditation über natürliche Phänomene und ihre Schönheit dar. Auf atemberaubende Weise gelingt dies Beauty (1993), einem in Regenbogenfarben changierenden sanften Wasserschleier. Eine sechs Meter lange Mooswand (1994) bot anfangs nicht nur einen faszinierenden Anblick, sondern auch ein taktiles Erlebnis: Ausdrücklich wurden die Besucher zum "vorsichtigen" Anfassen ermutigt. Leider waren wohl viele nicht vorsichtig genug, inzwischen umgibt die Wand eine Absperrung.

Eigene Öko-Bilanz

Die Londoner Kritiker reagierten überwiegend begeistert. Distanz ließen die Rezensenten höchstens gegenüber dem großen, letzten Raum der Ausstellung erkennen, "erweitertes Studio" genannt. Es handelt vom Öko-Unternehmer Elíasson, dessen Atelier in Berlin längst mehr ist als der Arbeitsort eines Künstlers, nämlich Experimentierlabor für Ingenieure, Architekten und Handwerker, eine Firma mit 110 MitarbeiterInnen plus Kantine.

Elíasson habe "verändert, was es heißt, Künstler zu sein", meint die Tate stolz. Davon gibt das erweiterte Studio einen Eindruck, der ein wenig didaktisch ausfällt: viele Daten, eine nachempfundene Ideenwand, kurze Filme, in denen der Namensgeber des SOE (Studio Ólafur Elíasson) sehr ernsthaft mit kongenialen Freunden und Helfern seine Weltsicht darlegt. Ausdrücklich werden die Besucher zum Feedback ermuntert, ja mehr noch: zum Nachdenken über die eigene Ökobilanz.

Selbstentlarvung

Was manche als "bewusstseins-erweckend" wahrnehmen, empfinden andere als Selbstentlarvung eines Zauberers, der "das Entzücken teilweise zerstört".

Vielleicht hilft zur Wiederherstellung des Entzückens der Besuch des Tate-Restaurants im neunten Stock mit Blick über die Themse oder des Terrassencafés mit Blick auf Elíassons Wasserfallgerüst vor dem Museum. Zu genießen gibt es das (vegetarische) Essen aus der Berliner SOE-Küche, quasi zum Nachschmecken eines anregenden, lehrreichen Kunsterlebnisses.