Im Gastkommentar streicht der Wissenschafter Alon Tal die Vorteile der Elektrofahrräder und Elektrotretroller hervor. Er plädiert dafür, die Scooter-Fahrer nicht anzuprangern, sondern in die Infrastruktur zu investieren.

Kleine, tragbare, elektrisch betriebene Transportmittel bieten eine enorme Chance, Treibhausgasemissionen zu senken, Staus zu vermeiden und die Frustration der Menschen zu lindern. Ein E-Scooter, der pro Tag durchschnittlich 16 Kilometer fährt, produziert um 3500 Gramm weniger Kohlendioxid als ein Auto, das dieselbe Strecke zurücklegt. Würden 10.000 Menschen vom Auto auf den E-Scooter umsteigen, gingen ihre CO2-Emissionen um 35 Tonnen pro Tag zurück; würden fünf Millionen Menschen den E-Scooter statt des Autos nützen, läge ihr CO2-Ausstoß bei lediglich 370 Tonnen oder gerade einmal zwei Prozent dessen, was die gleiche Zahl an Autos an Emissionen produzieren würde. Das Problem besteht freilich darin, dass die Verkehrsmanager und die für deren Budgets zuständigen Politiker noch keine politischen und infrastrukturellen Anpassungen vorgenommen haben, um dieser Revolution im Transportbereich Rechnung zu tragen.

Illustration: Felix Grütsch

Vorbild Tel Aviv

Wie man die Vorteile dieser Technologie maximiert, ohne damit die öffentliche Sicherheit zu gefährden, zeigt Tel Aviv, wo es mittlerweile mehr als 5000 elektrische Leihscooter gibt. Um die Verkehrsämter und Polizeidienststellen der Stadt bei der Entwicklung der besten Strategien im Umgang mit den Elektroscootern zu unterstützen, haben meine Doktoranden und ich die Nutzungsdaten eingehend untersucht.

Zunächst stellten wir fest, dass elektrische Zweiräder tatsächlich gefährlich sein können, wobei das Risiko allerdings in erster Linie für die Fahrer selbst besteht. Seit 2014 ist die Zahl der Fahrer, die in Israel bei Unfällen ums Leben gekommen sind, von einem Fall pro Jahr auf 19 gestiegen. Und im vergangenen Jahr landeten weitere 414 Menschen nach Unfällen mit Scootern im Krankenhaus, wobei ein Viertel der Verletzten unter 16 Jahre alt war. Von den Fällen, bei denen es zu Kopfverletzungen kam, trugen 95 Prozent der betroffenen Fahrer keinen Helm; und die meisten Unfälle passierten, weil die Fahrer wegen fehlender Radwege und aufgrund eines Fahrverbots auf Gehsteigen auf die Straße abgedrängt wurden.

Vermeidbare Unfälle

Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die meisten Unfälle und Verletzungen entweder durch Vorschriften oder entsprechende Infrastruktur vermeidbar wären. In Israel stieg die Zahl der Anzeigen gegen Scooter-Fahrer (in den meisten Fällen wegen Fahrens auf dem Gehsteig) von 12.356 im Jahr 2015 auf 30.178 im Vorjahr. Darüber hinaus haben die Stadtverwaltungen neue Gesetze über eine Helmpflicht verabschiedet, das Mindestalter für das Fahren mit einem Scooter auf 16 Jahre festgesetzt, die Scooter von Zebrastreifen verbannt und die Verwendung von Mobiltelefonen oder Kopfhörern in beiden Ohren verboten. Als zusätzliche Maßnahme sollte für Zweiräder auch ein Nummernschild vorgeschrieben werden, damit Polizei und Kommunalbehörden Ordnung in das Chaos bringen können.

Diese Maßnahmen und Bestimmungen sind vernünftig und gerechtfertigt. Weil sie aber ausschließlich auf Scooter-Fahrer ausgerichtet sind, tragen sie tendenziell zu einer Diffamierung jener bei, die sich für eine sozial optimale Form des Transports entscheiden. Die Verachtung dieser vielversprechenden neuen Transporttechnologie hat eine Welle der Desinformation ausgelöst.

Illustration: Felix Grütsch

Verordnete Vorsicht

Ein paar Fakten stehen allerdings fest. Erstens bedeuten mehr Scooter eigentlich weniger Unfälle. Länder mit der höchsten Fahrradnutzung pro Einwohner verzeichnen die wenigsten Todesfälle pro Milliarde mit dem Fahrrad zurückgelegter Kilometer. Die Zahl der tödlichen Radunfälle in den Niederlanden, Dänemark, Deutschland und der Schweiz betragen ein Viertel des Wertes der USA, obwohl die Fahrradnutzung in jedem dieser europäischen Länder ungefähr 20-mal höher liegt. Wenn die Fahrradnutzung eine kritische Masse erreicht, wird vorsichtiger gefahren, und die politischen Entscheidungsträger sind gezwungen, eine entsprechende Infrastruktur herzustellen.

Diese Vorsicht kann auch gesetzlich verordnet werden. 2014 wurde im australischen Bundesstaat Queensland eine Verordnung erlassen, wonach motorisierte Verkehrsteilnehmer Radfahrer nur in einem Abstand von einem Meter überholen dürfen. Und bei Geschwindigkeiten über 60 km/h erhöht sich der Abstand auf 1,5 Meter. Aufgrund dieser Regelung sank die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle mit Fahrradbeteiligung um 35 Prozent, während die Zahl der Zusammenstöße, die die Einlieferung der Verletzten in ein Krankenhaus erforderte, um die Hälfte zurückging.

Außerdem stellen geschützte Radwege entgegen dem üblichen Lamento der Politiker keine finanzielle oder wirtschaftliche Belastung dar. Durch die Verringerung von Staus kann eine fahrradfreundliche Infrastruktur beeindruckende wirtschaftliche Vorteile bringen.

Fördern, nicht anprangern

In einem Bericht des israelischen Ministeriums für Umweltschutz wird festgestellt, dass israelische Autofahrer täglich 40 Minuten im Stau verbringen. Aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums und der Zahl der Pkw-Besitzer wird die tägliche Zeit des Stillstands bis 2030 voraussichtlich auf 90 Minuten ansteigen, was einen jährlichen Produktionsausfall von zig Milliarden US-Dollar zur Folge hätte. Angesichts der Tatsache, dass Menschen, die täglich im Stau stehen müssen, vermehrt zu Depressionen und (im Falle von Männern) sogar zu häuslicher Gewalt neigen, würde es logisch erscheinen, dass mehr Pendler eine Alternative in Anspruch nähmen, wenn sie könnten.

Schließlich spielen Scooter und Elektrofahrräder eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels. In Ländern, in denen es im Sommer ebenso heiß ist wie in Israel, würde man mit einem Verbot dieser Transportmittel den Nicht-Auto-Verkehr in einer Zeit drastisch zurückdrängen, in der er am dringendsten gebraucht wird. Eine weitaus umwelt- und wirtschaftsfreundlichere Strategie besteht darin, in Infrastruktur und Durchsetzungsmechanismen zu investieren, die die Vorteile der Scooter-Nutzung maximieren. Anstatt Menschen anzuprangern, die sich bereits für eine ethischere und effizientere Form des Stadtverkehrs entschieden haben, sollten intelligente Kommunalverwaltungen ihnen lieber die Hindernisse aus dem Weg räumen. (Alon Tal, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 2.8.2019)