Teigtasche und Rechtsstaat können schneller aneinandergeraten, als man denkt – weil sich die legale, manuelle Fertigung (noch) nicht im Verkaufspreis niederschlägt, aber nur die von Hand gedrehten richtig gut schmecken.

Die wohlschmeckenden sorgen also auf beiden Seiten für verdammt viel (Hand-)Arbeit: In Schanghais Garküchen – vielleicht die tollsten Teigtaschentempel der Welt – oder hinter den Glasscheiben der Schauküchen von Din Tai Fung, der berühmten taiwanischen Dim-Sum-Kette, stehen dutzende Arbeiter, die stundenlang nichts anderes tun, als jeden einzelnen der Wonneproppen mit Krabbeneiern, faschiertem Schwein oder Sauergemüse zu füllen und dann von Hand zu formen (vom Mischen der Füllung und dem Rollen des Teigs einmal ganz abgesehen).

Bild nicht mehr verfügbar.

Nur die von Hand gefertigten Teigtaschen schmecken richtig gut.
Foto: AP Photo/Ng Han Guan

Gesetz für Hülle und Fülle

Wer das mit österreichischen Arbeitsvorschriften vereinen will, muss für das Ergebnis einen deutlich höheren Preis verlangen, als die inkriminierten Favoritener Teigtaschen gekostet haben. Die großen Säcke mit mehreren Dutzend (illegal gewuzelten) Stück waren in einschlägigen Asiamärkten für wenige Euro zu haben – weshalb auch der Autor seinen Teigtaschenbedarf dort öfter gedeckt hat. Am Montag nahmen die Behörden insgesamt sechs Teigtaschenköche fest, das Marktamt schloss die Produktion. Das mag aus Sicht des Rechtsstaats ein Erfolg gewesen sein – aus kulinarischer Sicht aber war es ein Verlust. Die illegalen Teigtaschen waren nämlich leider kriminell gut.

In Favoriten wurden vor allem Jiaoze produziert, die vielleicht häufigste Variante chinesischer Teigtaschenkunst: etwa daumengroß, länglich, aus Wasserteig, von der Form ein wenig an Halbmonde oder Schiffe erinnernd. Sie werden entweder gekocht, nur gedämpft oder, noch besser, in einer Pfanne mit Deckel gebraten, bis ihr Boden knusprig, ihr oberer Teil im eigenen Saft weich gedämpft ist. "Guo Tie", "Topfkleber", nennen die Chinesen sie dann. In etwas schwarzen Essig getaucht sind sie ein großer Genuss.

Bild nicht mehr verfügbar.

Teigtaschenmachen in China anlässlich des Neujahrsfestes.
Foto: AP / Ng Han Guan

Viel Geschichte im Gepäck

Teigtaschen wurden nicht nur in China erfunden (bereits im 6. Jahrhundert werden Teigtaschen in chinesischen Texten erwähnt, und aus dem 9. Jahrhundert gibt es eindeutige archäologische Funde von Teigtaschenfossilien), das Land kennt bis heute auch die mit Abstand meisten Varianten: dick oder dünn, aus Weizen- oder Reisteig, gedämpft, gekocht, gebraten, pur oder in Suppe genossen – die Vielfalt ist weit größer als eine Zeitungsseite.

Die zwei vielleicht wichtigsten Zentren der chinesischen Teigtaschenwelt sind Schanghai und Guangzhou (beziehungsweise das nahe Hongkong). In Schanghai regiert vor allem das Xia Long Bao, eine relativ dünne Teigtasche aus Weizenmehl, die meist mit Fleisch und etwas Suppe kalt gefüllt und dann gedämpft wird. Beim Erhitzen verflüssigt sich die fette Suppe, die vorher geliert war. Wer sie (vorsichtig) zu essen weiß, erfreut sich an ihrer herrlich würzigen Saftigkeit – der Ahnungslose erlebt mitunter das gleiche heiße Wunder wie der Wien-Tourist beim allzu gierigen Biss ins erste Käsekrainer-Hotdog: Aua! Legendär in der Stadt sind etwa jene von Linlonfang, die sie zur richtigen Jahreszeit mit üppig-cremigen Krabbeneiern füllen. Das Ergebnis gehört zum Besten, was man auf dieser Welt essen kann.

Beim Dämpfen verflüssigt sich die Suppe im Xia Long Bao.
Foto: Getty Images/iStockphoto/ linyuwei

Guangzhou und Hongkong sind die kulturellen Zentren jener Gegend, die bei uns besser als Kanton bekannt ist. Die im Westen berühmtesten Teigtaschen von hier sind vielleicht Char Siu Bao, gedämpft und aus idealerweise flauschigem Hefeteig, gefüllt mit süß gewürztem, gegrilltem Schwein – luftig, gleichzeitig üppig, göttlich gut. Ebenfalls beliebt und spektakulär anzusehen sind Har Gow, Teigtaschen aus hauchdünnem, transparentem Reisteig, der sich wie ein Negligé um feine Meeresfrüchte, etwa Shrimps, schmiegt.

"Wolken schlucken"

Während einige Teigtaschen regionale Phänomene geblieben sind, sind andere in ganz China zu finden. Das Wonton etwa ist weit verbreitet, und das ist sehr, sehr gut so. Wontons gehören zu den Teigtaschen, bei denen der Teig fast wichtiger ist als die Fülle: Sie sind so gefaltet und geformt, dass rund um die Füllung lange, extradünne Schleppen entstehen, die dem Gaumen ihres Essers auf ganz besondere Art schmeicheln. Auch ihr Name verdankt sich diesem Phänomen: Wonton bedeutet so viel wie "Wolken schlucken".

Jetzt, wo Wien ganz langsam vielleicht wieder zur Weltstadt wird, gibt es erfreulicherweise auch immer mehr Teigtaschen in der Stadt. Wang in der Kettenbrückengasse etwa verkauft formidable, vor Ort handgemachte Wontons in klarer Algensuppe, und das Chinazentrum im vierten Bezirk dämpft unter anderem feine Char Siu Bao und Cheungfang – wörtlich Darmnudel, aber keine Sorge, es sind hausgemachte Reisteigrollen. Derzeit werden beide Lokale vor allem von der wachsenden Gemeinschaft an Exilchinesen besucht. Aber wer weiß: Vielleicht kommen die Wiener ja noch auf den Geschmack. Auf dass sich mehr legale, gute Produktionen lohnen. (Tobias Müller, 2.8.2019)