Life imitates Photoshop: Birkenspannerraupen wechseln die Farbe, um sich bestmöglich an ihre Umgebung anzupassen.
Foto: Arjen van’t Hof, Universität Liverpool.

Der in ganz Europa verbreitete Birkenspanner (Biston betularia), ein nachtaktiver Schmetterling, ist zu einem vielzitierten Beispiel dafür geworden, wie menschliche Aktivitäten die Evolution beeinflussen können. Von Natur aus schwarzweiß, hat sich mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert langsam eine rein schwarze Variante des Schmetterlings ausgebreitet, angepasst an den allgegenwärtigen Ruß. Wissenschafter bezeichnen das Phänomen als Industriemelanismus. Da Filteranlagen die Luft inzwischen wieder deutlich sauberer halten, ist nun die weißliche Farbvariante wieder im Aufwind.

Gute Tarnung

Die Raupen des Schmetterlings spielen sogar noch besser auf der Farbklaviatur. Ihr Körper kann unterschiedliche Farben annehmen, um sich der jeweiligen Umgebung bestmöglich anzupassen. Verglichen mit Chamäleons oder gar Tintenfischen läuft der Farbwechsel bei den Raupen zwar eher in Zeitlupe ab, doch bietet er ihnen einen entscheidenden Überlebensvorteil, wenn Vögel Ausschau nach Beute halten.

Deutsche und britische Forscher haben nun untersucht, wie die Raupen überhaupt feststellen können, welche Farbe ihre Umgebung – konkret: der Zweig, auf dem sie sitzen – hat, ehe sie sich dieser anpassen können. Die Augen brauchen sie dafür erstaunlicherweise nicht, berichtet das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Die Wahrnehmung läuft über die Haut.

Experiment gibt Aufschluss

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, führte das Team um Amy Eacock und Hannah Rowland eine Reihe von Experimenten durch. Zunächst – was nicht alles zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört – übermalten sie Raupen die Augen mit schwarzer Acrylfarbe. Die "erblindeten" Raupen wurden dann jeweils auf weißen, grünen, braunen und schwarzen Zweigen angezogen. Zur Überraschung der Forscher verfärbten sich diese Raupen ihrem Untergrund entsprechend und zeigten eine genauso intensive Färbung wie ihre sehenden Artgenossen.

In Runde 2 des Experiments bot man Raupen vier verschieden gefärbte Zweige zur Auswahl an. Zielsicher erklommen alle den Zweig, der ihrer Farbe am ähnlichsten war – auch die künstlich erblindeten Exemplare.

Im genetischen Rüstungswettlauf

Zwar weiß man, dass manche Insekten über die Haut Licht wahrnehmen können. Dass das bis zur Unterscheidung von Farbnuancen geht, war aber bislang unbekannt. Die Erklärung liegt im Erbgut: Die Forscher untersuchten abschließend, in welchen Körperteilen der Raupen Gene, die mit dem Sehen in Zusammenhang stehen, aktiv sind. Und sie fanden sie nicht nur im Kopf der Raupen, wo sich die Augen befinden, sondern auch in der Haut aller Körpersegmente. Ein Seh-Gen wurde sogar in der Haut stärker abgelesen als in den Köpfen der Raupen.

"Farbänderung ermöglicht Tieren, sich an ihre Umgebung anzupassen und reduziert sehr wahrscheinlich das Risiko gefressen zu werden", sagt Rowland. Eacock ergänzt: "Raupen mit besserer Farbwahrnehmung werden wahrscheinlich seltener von Räubern gefressen, während Vögel mit verbessertem Sehvermögen mehr Raupen fressen, sodass sich das evolutionäre Wettrüsten zwischen Räuber und Beute fortsetzt." (red, 4. 8. 2019)