Ein kanadischer Paketfahrer erhält Gelegenheit, seine Intelligenz zu demonstrieren: Denys Arcands "Der unverhoffte Charme des Geldes" erzählt von einem Lottogewinn unter erschwerten Bedingungen.

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Paketfahrer Pierre-Paul Daoust hat eine Theorie: Intelligenz ist dem guten Leben abträglich. Wer zu klug ist, kommt nicht voran. Er ist das beste Beispiel. Er hängt in seinen Überlegungen fest, mit ödem Job, mickrigem Einkommen – und dann verlässt ihn seine Freundin, eine Bankangestellte mit einem Kind. Einen größeren Verlierer als Pierre-Paul könnte man sich kaum erdenken, da hilft der ganze Aristoteles nichts, den er parat hat. Zwei große Sporttaschen ändern alles. Sie bleiben auf einem Parkplatz liegen, auf dem Pierre-Paul mit Dienstfahrzeug stoppt. Das organisierte Verbrechen von Montréal gruppiert sich in dieser Szene blutig ein wenig um, in dem Geballer fällt nicht auf, dass die beiden Taschen den Weg in das Fahrzeug von Pierre-Paul finden. Nun ist guter Rat teuer. Was tut ein Paketfahrer mit einer Unmenge Geld?

Die Prämisse von Denys Arcands Der unverhoffte Charme des Geldes gleicht in etwa der eines Lottogewinns unter erschwerten Bedingungen. Denn das Geld, das Pierre-Paul in die Hände fiel, ist heiß, es interessiert Gangster und Polizei. In so einer Situation macht es dann doch einen Unterschied, über welches Maß an Intelligenz der Glückspilz verfügt.

Vor mehr als dreißig Jahren hat Denys Arcand den Film Der Untergang des amerikanischen Imperiums herausgebracht, eine Geschichte über Sex in Form einer Ensemblekonversation, einer Orgie mit Worten. Die Invasion der Barbaren konnte man 2003 als eine Art Fortsetzung begreifen, jedenfalls in der Hinsicht, dass Arcand sich nicht scheute, so etwas wie zivilisationsdiagnostische Großbefunde zu skizzieren.

Der Professor und der Sohn

In diesem Fall ging es um den Zusammenhang von Krankheit und Kapitalismus, repräsentiert durch einen Uniprofessor und seinen Sohn. Der Professor stand für das Gemeinwesen (mit einem erbärmlichen Gesundheitssystem), der Sohn für die Macht des Geldes und damit – in Arcands Logik – für die Barbarei.

Von einem vergleichbar pessimistischen Gesellschaftsbild ist nun auch Der unverhoffte Charme des Geldes geprägt. Der Titel der Originalfassung macht den Zusammenhang deutlicher: La chute de l’em pire américain. Arcand macht offensichtlich keinen großen Unterschied zwischen USA und Kanada, selbst Montréal gehört zu diesem Zusammenhang des "Imperiums".

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Die Pointe der Geschichte ist, dass Pierre-Paul wegen seiner Weltfremdheit ideal für ein perfektes krummes Ding ist. Er tapst in alle richtigen Schritte, und bald hat er ein kleines Syndikat um sich versammelt: Die Escort-Dame Aspasia findet Geschmack an der Idee der Umverteilung. Es stößt ein Ex-Rocker dazu, der vielleicht noch intelligenter als Pierre-Paul ist, jedoch unkomplizierter denkt. Und schließlich bringt Aspasia auch noch einen Verbindungsmann in die Hochfinanz herbei, einen Banker, der ständig das Geld der Reichen "verschwinden" lässt.

Globale Geldwäsche

Was folgt, ist der Versuch einer global organisierten Geldwäsche, die als Komödie und Thriller angelegt ist. Erzählt wird mit Gespür für Orte und Milieus und einer guten Balance zwischen den Themen. Im Zentrum steht mit Pierre-Paul jemand, der es mit der Unbeholfenheit sehr ernst nimmt: Der kanadische Fernsehstar Alexandre Landry wächst nicht allmählich zu einem Gauner heran, der ein bisher übersehenes Naturtalent an sich entdeckt; er bleibt bis zum Ende ein Mann im falschen Genre. Landry wirkt oft so, als hätte der Film ihn erst am Rande des Raubüberfalls aufgelesen und müsste nun halt mit ihm weitermachen.

Auch mit dieser wie zufällig wirkenden Besetzung der Hauptrolle weist sich Arcand mit seinen noblen Intentionen aus. Deren Deutlichkeit machte immer schon auch die Grenzen seiner Filme aus: Wenn man Arcand einer Partei zuordnen müsste, dann wäre er wohl Sozialdemokrat – mit einem Hang ins Karitative.

Ein typischer Kanadier eben, würde Michael Moore sagen, der in Nachbarn der USA tendenziell den Inbegriff eines Wohlfahrtssystems sieht. Für Arcand ist dieses System so verdorben, dass man ihm unbedingt ein Schnippchen schlagen muss. Mit diesem Film probiert er aus, wie weit ein Intellektueller damit kommen kann. (Bert Rebhandl, 5.8.2019)