Alle Parteien versuchen sich gerade im besten Blickwinkel darzustellen. Große Lösungen werden präsentiert und die Spitzenkandidaten wie Halbgötter inszeniert. Ob nun repräsentative Aufnahmen vor den Logos von multinationalen Konzernen, schöne Fotos beim Treffen mit Normalsterblichen oder das Trommeln der Sicherheitsthematik - alle wollen die für sich wirkungsvollsten Inhalte ins Zentrum des mentalen Fokus der Wähler stellen. Dabei wird es diesmal mehr denn je nicht auf Einzelthemen und Strategien - egal wie wichtig sie für einzelne Zielgruppen scheinen mögen - ankommen, sondern auf die Zukunft von uns allen und eine Gesamtlösung für ganz Österreich. Banale Politperformance gestützt durch Berater und Agenturen steht der kollektiven Intelligenz der Österreicher und Österreicherinnen gegenüber.

Ausstieg aus den eigenen kognitiven Barrieren und Wertungen

Egal ob man sich nun links, rechts in der Mitte oder gar nicht in Gesinnungskategorien einordnet, sollte man seinen Verstand und die Intuition dafür einsetzen, eine Entscheidung aus Kopf und Bauch zu treffen. Fernab der politischen Bewegungen und ihren oft siebensüßen Angeboten braucht das Land die geballte (Schwarm-)Intelligenz seiner Bürger. Dies bedingt zwangsläufig eine Loslösung vom Ballast festgefahrener Wert- und Weltbilder, sodass die eigenen kognitiven Barrieren übersprungen werden können. "Thinking outside the box" ist in diesem Zusammenhang eine gern von vielen verwendete Floskel. Aber seien wir uns ehrlich, wer von uns macht das schon, denn von sich selbst und den eigenen geistigen Rahmenbedingen kann man sich nur schwer lösen.

Die Spitzenkandidaten auf der Suche nach den Wählern.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Embodiment in der Politik

Die vereinfachte Dichotomie aus opportunen und inopportunen Politkonstrukten ist zu hinterfragen. Kein Mensch und keine Partei haben nur rein positive oder negative Facetten sondern vereinen immer beides in sich. Das parteipolitische Kasteldenken in einengenden Schemata gehört abgelegt. Ein praktischer Ansatz zum Aufbrechen derartig verkrusteter Denkmuster wäre das in der Kognitionswissenschaft verbreitete Modell des "Embodiment". Das Konstrukt geht davon aus, dass Bewusstsein einen Körper benötigt und somit eine physikalische Interaktion voraussetzt. Diese Verknüpfung aus Körper und Geist beinhaltet unter anderem, dass körperliche Handlungen eine geistige Fixiertheit überwinden können. Einfaches Flanieren kann beispielsweise dabei helfen, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen.

Evaluation der Parteienlandschaft

Auf Basis dieser psycho-physiologischen Überschneidungen kann angenommen werden, dass körperliche Freiheit kreativ macht. Daher sollten wir unsere mentalen Schneckenhäuser verlassen und uns bewusst das Angebot quer über alle Parteien in der Realität bei Parteiveranstaltungen ansehen und wenn möglich auch die Spitzenkandidat(inn)en oder zumindest Parteirepräsentanten persönlich begegnen. Die realen und nicht virtuellen Körpererfahrungen tragen zur Konstruktion unserer sozialen Realität bei und helfen uns eine wesentlich differenziertere Entscheidung bei der Wahl zu fällen. Denn nahezu jeder hat heute den Anspruch die Welt zu erklären, die Antwort wird aber am Beispiel der Nationalratswahlen jeder nur für sich selbst finden können. Intelligenz kennt so gesehen keine Partei. Das Schlimmste für Politberater und Strategen ist, wenn der Mensch sich nicht durch einen einfachen Algorithmus berechnen lässt. Dann werden die Karten neu gemischt. Die Hoffnung wäre eine Politik, die den Bürgern dient und nicht sich selbst. Aber vielleicht ist diese Vision nur ein luzider Traum. (Daniel Witzeling, 7.8.2019)

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