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In England werden immer häufiger Ladendiebe mithilfe von Gesichtserkennungssoftware ausfindig gemacht.

Foto: Reuters

Die britische Polizei wendet sich Ladendiebstahl immer weniger zu – mithilfe von Gesichtserkennungssoftware wollen sich Supermarktbesitzer nun selber schützen, berichtet der "Guardian". "Facewatch" heißt eines der Programme, die Händler erwerben können, um Dieben die Stirn zu bieten.

Mit Facewatch werden bekannte und bereits vor laufender Kamera ertappte Ladendiebe auf eine Merkliste gesetzt – erscheint die Person auf den Bildschirmen des Überwachungssystems, wird der Supermarktbetreiber benachrichtigt und kann die betreffende Person auffordern, das Geschäft zu verlassen. Was bei diesem Verfahren jedoch fehlt, ist die passende Regulation – so wie bei den meisten invasiven technologischen Fortschritten.

Gesichtserkennung kann immer mehr

Gesichtserkennung kennt man aus Hollywoodfilmen. Eine Überwachungskamera filmt eine Menschentraube, erkennt jeden Einzelnen und kann sofort Name, Geburtsdatum und Fahndungsstatus zuordnen. Auch wenn die Technologie hinter der Gesichtserkennung längst nicht in diesem Maße entwickelt ist, macht sie rasante Fortschritte. Die größte Entwicklung geschah in den letzten vier Jahren, geht aus einem Bericht des US National Institute of Standards and Technology hervor. Seit 2014 hat sich demnach die Fähigkeit der besten Algorithmen, neue Bilder von Gesichtern Fotos einer Datenbank zuzuordnen, um das 20-Fache verbessert.

Während die Gesichtserkennung durch künstliche Intelligenz bei perfekten Lichtverhältnissen und Einsatz hochwertiger Kameras bereits besser als die eines Menschen ist, sei Facial Recognition im Alltag, auf der Straße und in Supermärkten viel ineffektiver, sagt Maja Pantic, KI-Forscherin des Imperial College in London. "Im Alltag ist die Gesichtserkennung weit von den 99,9 Prozent entfernt, die man mit Fahndungsfotos bekommt", sagte sie dem "Guardian". "Aber sie ist gut und entwickelt sich relativ schnell weiter."

Facewatch

Facewatch selbst gibt an, kein Technologieunternehmen zu sein, vielmehr handle es sich beim eigenen Produkt um ein Datenverwaltungssystem. Laut Facewatch-CEO Nick Fisher stellt das Unternehmen lediglich das Management einer Merkliste zur Verfügung und halte sich dabei an die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Wenn jemand vor der Kamera oder von einem Mitarbeiter beim Ladendiebstahl gesehen wird, kann sein Bild als SOI (Subject of Interest) gespeichert werden. Wird die betreffende Person wieder im Supermarkt gesehen und von der KI erfasst , erhält der Geschäftsbetreiber eine diskrete Nachricht. Daraufhin kann die Person gebeten werden, das Geschäft zu verlassen

Die DSGVO erlaubt es, diese Listen von SOIs "verhältnismäßig" zu teilen. Wenn jemand einmal von einer solchen Kamera bei einem Diebstahl erfasst und als SOI vorgemerkt wurde, kann das zugehörige Bildmaterial mit lokalen Facewatch-Benutzern geteilt werden.

In London, sagt Fisher, sei das ein Radius von rund zwölf Kilometern. Wenn jemand in vielen verschiedenen Städten wiederholt stiehlt, kann diese Information landesweit proportional geteilt werden. Wenn die betroffene Person nicht mehr beim Stehlen erfasst wird, werde ihr Gesicht nach zwei Jahren aus der Datenbank entfernt.

Kritik an Datenschutz

Die britische Datenschutzorganisation Big Brother Watch kritisiert die private Nutzung von Gesichtserkennungssoftware. Sie befürchtet eine Untergrabung des Justizsystems: "Wenn es Beweise dafür gibt, dass jemand eine Straftat begangen hat, muss diese Person das vorgesehene Strafverfahren durchlaufen. Ansonsten befinden wir uns in einem System der Privatpolizei. Wir betreten die Sphäre der Kriminalprävention", warnt Silkie Carlo, Sprecherin von Big Brother Watch.

Für Facewatch hingegen ist der angebotene Service nichts anderes als die langjährige Praxis, Fotos bekannter Ladendiebe im Aufenthaltsraum der Mitarbeiter aufzuhängen, um die Wiedererkennung zu erleichtern. Der Unterschied liege darin, dass die Gesichtserkennungssoftware genauer sei als die menschlichen Mitarbeiter, sagt Facewatch-CEO Fisher.

Mangelnde Regulation

Während in San Francisco der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware durch Polizei und Regierung verboten ist, verlangt auch in Großbritannien der Ausschuss für Wissenschaft und Technologie des Unterhauses, dass die Polizei keine Gesichtserkennung mehr verwendet, bis es genauere Regulation gibt. Besonders im privaten Bereich gebe es kaum Regelungen darüber, was mithilfe der Gesichtserkennung erlaubt ist und was nicht.

Sowohl Facewatch als auch Big Brother Watch fordern genaue Richtlinien, die die Grenzen der Überwachung definieren. Ein direkter Sprung zu neuen Gesetzgebungen und vorschnellen "Schutzmaßnahmen" wäre für Big Brother Watch jedoch nicht ausreichend. Vielmehr müsse man ausführliche Diskussionen über Technologie und die Frage, wie weit sie in die Privatsphäre und den Alltag der Menschen eindringen darf und muss, führen. Für die Datenschützer ist sich die britische Regierung nicht darüber im Klaren, dass die Gesellschaft derzeit eine allumfassende technologische Revolution erlebe, die mehr Diskurs erfordert. (hsu, 30.8.2019)