Nach dem Zweiten Weltkrieg machte Heinrich Gross als Gerichtspsychiater unter Mithilfe des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker (BSA) Karriere. Während der Naziherrschaft war er an der Ermordung von Kindern in der Wiener Spiegelgrund-Klinik beteiligt.

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Die FPÖ ist nicht die erste Partei, die sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit Zeit lässt. Auch SPÖ und ÖVP haben die braunen Flecken in ihren Reihen erst nach der Jahrtausendwende eingehend beleuchtet. Die Sozialdemokraten gingen allerdings weitaus professioneller vor als die Freiheitlichen und legten unter dem damaligen Parteichef Alfred Gusenbauer zwei Berichte vor, denen die Fachwelt breite Anerkennung zollte.

SPÖ wollte Nazis rasch integrieren

Der erste Bericht wurde 2004 unter der Leitung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands publiziert und widmete sich dem Bund Sozialdemokratischer Akademiker (BSA), der zu Beginn der Zweiten Republik geradezu ein Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten war. Der BSA bemühte sich in den späten 1940er-Jahren aktiv um den Beitritt vormaliger Nazis, weil die eigene akademische Personaldecke wegen der Verfolgung und Ermordung roter Akademiker schmal war. Die Nazis selbst nahmen das Angebot auf rasche Integration dankend an und machten als BSA-Mitglieder Karriere. Prominentestes Beispiel war der NS-"Euthanasie"-Arzt Heinrich Gross, der am Spiegelgrund an der Ermordung behinderter Kinder beteiligt war.

2005 setzte sich dann eine Historikerkommission des Instituts für Zeitgeschichte mit der SPÖ im engeren Sinn auseinander. Schon bald nach Kriegsende und einer ersten Entnazifizierungswelle bemühte sich die Partei um eine rasche Rehabilitierung und Eingliederung früherer NSDAP-Mitglieder. Mehr als zehn Prozent der roten Parlamentarier nach 1945 waren frühere Nazis, ergab die Bilanz der Historiker.

ÖVP-Bericht mit Lücken

Nach Erscheinen des SPÖ-Berichts entschloss sich auch die ÖVP zu einer Durchleuchtung ihrer Vergangenheit. Das Projekt zog sich jedoch gehörig in die Länge und kam erst 2018 zum Abschluss. Die entsprechende Studie des Juristen Michael Wladika wurde vom ÖVP-nahen Karl-von-Vogelsang-Institut beauftragt. Thematisch ist die Auswertung recht eng gefasst, sie durchleuchtet die Biografien von ÖVP-Politikern in den Anfangsjahrzehnten der Zweiten Republik, enthält jedoch keine Gesamtanalyse des ideologischen und taktischen Umgangs der Partei mit ehemaligen Nazis.

Als wesentliches Ergebnis stellte der Bericht fest, dass zwischen sechs und neun Prozent der untersuchten ÖVP-Politiker NSDAP-Vergangenheit hatten. Von der Statistik ausgespart wurden allerdings niedere Parteiränge, etwa jene in den traditionell wichtigen bündischen Teilorganisationen der ÖVP. (Theo Anders, 6.8.2019)