Das Wifo setzt auf Kohlenstoffsteuern und -zölle, der ehemalige Chefökonom der Industriellenvereinigung auf technologische Innovationen und weltweite Geburtenkontrolle. In diesem Gastkommentar führt der Ökonom Christian Felber die Klimadebatte fort.

Im STANDARD vom ("Klimakrise – so kann Österreich gegensteuern") argumentierte Wifo-Ökonomin Claudia Kettner für CO2-Steuern als eine von mehreren nötigen Maßnahmen zur Stabilisierung des Klimas. Vor einiger Zeit hatte Wifo-Chefin Margit Schratzenstaller für CO2-Zölle argumentiert. Beide Ansätze passen gut zusammen: Klimaschutzvorbilder können mit höheren Kohlenstoffsteuern vorausgehen und die Differenz zu gleich industrialisierten Handelspartnern mit niedrigeren Steuern via Klimazölle einheben. So wird aus dem vermeintlichen Wettbewerbsvorteil Klimastoik ein Handelshindernis und Anreiz, schnellstmöglich nachzuziehen.

Interessant an Kettners Beitrag ist, dass eines der Vorreiterländer die Schweiz ist – zumal eines der Lieblingsargumente gegen einen Vorausgang Österreichs lautet, eine kleine offene Volkswirtschaft könne sich so einen "Wettbewerbsnachteil" nicht leisten. In genau dieses Horn bläst Erhard Fürst ("Im Klima von Verdrängung und Entrüstung"). Der ehemalige Chefökonom der Industriellenvereinigung schließt seine Ausführungen, wonach eine zukunftsweisende Klimapolitik "nur auf EU-Ebene" möglich sei.

Tragbare Weltbevölkerung

Fürsts Gastkommentar fällt im Vergleich zu jenem des Wifo ideenlos aus. Neben Entsachlichungen wie "Kollapsologen" oder "Pflege der Flugscham auf Balkonien" bringt er zwei Vorschläge: Einmal eine "weltweite Kampagne zur Geburtenkontrolle" unter Verweis auf das Bevölkerungswachstum in Afrika. Es fragt sich, warum, denn erstens ist die Bevölkerungsdichte in Afrika 2,5-mal geringer als in der EU, zweitens lastet keine historische ökologische Schuld auf dem Kontinent und drittens und am wichtigsten: Gemessen an ihren CO2-Emissionen könnte die Erde 20-mal so viele Menschen aus den ärmsten Ländern "tragen" wie Wohlstandsbürgerinnen und -bürger aus Europa.

Wenn alle Menschen so viel verbrauchten wie die Menschen in Nordamerika, müsste die nachhaltig tragbare Weltbevölkerung 55-mal kleiner bleiben. Ist nun Fürsts Vorschlag so zu verstehen, dass die Geburtenkontrolle in den USA 55-mal strenger ausgeübt werden sollte als in Afrika und in der EU 20-mal strenger?

Ein "gutes Leben"

Eine Alternative zur Kontrolle von Geburten könnte in der Begrenzung des Überkonsums in den Hochverbrauchsländern bestehen. Ein Suffizienzansatz des "guten Lebens" mit mehr Bewegung, Gartenarbeit, Muße, Kunst und Sinnstiftung macht Untersuchungen zufolge freier und glücklicher als die Materialismus-Konsum-Status-Wachstum-Tretmühle. Allerdings sind Lebensstiländerungen im Sinne des Maß- und Balance-Haltens nur in den seltensten Fällen mit technologischem Fortschritt zu erreichen, den Fürst als die "einzig ehrliche Antwort" auf die Klimaschutzherausforderung anführt.

Abgesehen davon, dass auch Glyphosat, SUV, Airbusse, Raffinerien und Kohlekraftwerke Ergebnisse "großzügigster Investitionen in den technologischen Fortschritt" waren und wir mit dieser Strategie aktuell die höchste CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre seit drei Millionen Jahren erreicht haben: Der "freie Markt", der wohl diese Investitionen hervorbringen soll, hatte 30 Jahre Zeit dafür – seit dem Kioto-Basisjahr war er so frei wie selten zuvor. Doch anstatt die dringend nötigen Umweltinnovationen hat er Rebound-Effekte, Abhängigkeit vom Wachstum und epidemische Kaufsucht hervorgebracht.

Die Reduktion von CO2-Emissionen wird der "freie Markt" nicht richten. Es braucht auch politische Entscheidungen.
Foto: APA/AFP/Philippe Lopez

Politische Entscheidungen

Neben anderen Maßnahmen sind technologische Innovationen durchaus eine Facette im Klimaschutzmosaik. Doch damit die Innovationen in die richtige Richtung gehen – Ressourceneffizienz, Sinngewinn, Dezentralität, Demokratie –, müssen sie mit Steuern, Zöllen, Finanzinstrumenten und einem intelligenten Marktdesign in die gewünschte Richtung geführt werden. Dazu findet sich beim Ex-IV-Chefökonomen kein Anhaltspunkt. Er perpetuiert genau das Wirtschaftsbild, das in die aktuelle Krise geführt hat. Markt und Demokratie werden nicht als Ehepaar gedacht, sondern als Opponenten, der Markt bringt die Lösungen, der Staat stört.

Doch der Markt wird nicht von Naturgesetzen bestimmt: Ob das Gros der Steuer auf dem Faktor Umwelt oder Arbeit lastet, ist eine politische Entscheidung; ob Subventionen für fossile oder erneuerbare Energien vergeben werden, ebenso; ob Unternehmen eine Finanz- oder eine Gemeinwohlbilanz erstellen müssen, ob Privateigentum oder Commons gefördert werden – alles politische Entscheidungen. Der Markt kann einen wichtigen Beitrag leisten, die Voraussetzung dafür ist aber eine rahmensetzende und lenkende Fiskal- (Kohlenstoffsteuern), Handels- (Klimazölle), Energie- (Kohleausstieg), Infrastruktur- (Bahn statt Flugbahn) und Agrarpolitik (Extensivierung, Regionalisierung).

Das Klima-Doughnut-Prinzip

Ein weiterer Lösungsansatz, der sich nur dann erschließt, wenn man die Demokratie nicht den Märkten unterordnet, sind "ökologische Menschenrechte": ein gleiches Verbrauchsbudget für alle lebenden und zukünftigen Menschen.Angelehnt an den "Doughnut" von Kate Raworth könnte das Ressourcengeschenk, das die Erde der Menschheit jährlich erneuerbar zur Verfügung stellt, auf alle Menschen in Form eines jährlichen Verbrauchsrechts aufgeteilt werden.

Der Verbrauch bis zur inneren (sozialen) Grenze des Doppelrings könnte ein universales und unveräußerliches Grundrecht werden, der Überschuss zwischen dem inneren und dem äußeren (ökologischen) Limit hingegen ein handelbares Verbrauchsrecht, das die Armen dieser Welt, denen die finanzielle Kaufkraft für den Verbrauch dieser Überschussreserve fehlt, den Reichen verkaufen könnten, denen es an ökologischer Kaufkraft mangelt: Die Reichen könnten weicher landen, und die Armen erhielten ein Zusatzeinkommen: Win-win!

Eigenes Ökokonto

Die technologische Grundlage dafür wäre die ökologische Preisauszeichnung aller am Weltmarkt angebotenen Produkte und Dienstleistungen – sie müssten neben dem finanziellen Preis (in monetärer Einheit) auch einen ökologischen Preis (in physikalischer Währung) ausweisen. Bei jedem Einkauf wird der entsprechende Betrag vom Ökokonto abgebucht – solange das jährliche Guthaben darauf reicht, analog zum finanziellen Konto. Wessen Konto vor Jahresende leer ist, muss größere Konsumausgaben auf das Folgejahr aufschieben oder "sparen". Oder den Lebensstil ändern.

Ökologische Menschenrechte sind eine soziale Innovation, sie verleihen allen Menschen, egal wann und wo sie geboren sind, in Zukunft die gleichen Chancen. Die "Märkte" würden durch sie sehr rasch klimafreundlichere Angebote entwickeln. (Christian Felber, 5.8.2019)