Parteistratege mit militärischem Background: ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer.

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Wien – Generalsekretär ist nicht General – aber dass ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer einige Jahre lang Berufssoldat und Milizoffizier war, dürfte der strategischen Planung des türkisen Wahlkampfs nutzen.

Und mit dem Wahlkämpfen hat Nehammer Erfahrungen seit Kindertagen: Aus einem bürgerlichen Haushalt kommend, war er erstmals im Nationalratswahlkampf 1986 aktiv – als 14-Jähriger verteilte er Flugblätter für Alois Mock.

Dieser hatte sich zu Beginn jenes vom damaligen Kanzler Franz Vranitzky vom Zaun gebrochenen Wahlkampfs Siegeschancen ausgerechnet – zum Schluss blieb die ÖVP fast zwei Prozentpunkte hinter der SPÖ, weil ein gewisser Jörg Haider beiden Parteien Stimmen abgejagt hatte.

"Es war ein sehr emotionaler Wahlkampf", erinnert sich Nehammer im Gespräch mit dem STANDARD. Und dann sagt er noch etwas, vielleicht auch, um düstere Assoziationen zu vermeiden: "Jede Kampagne ist anders, keine ist wie die andere."

Aber lernen, das kann, das muss man von vorherigen Kampagnen.

Lehrjahre beim Bundesheer

Das ist Offiziershandwerk, das hat Nehammer gelernt. Und er hat solches Wissen auch weitergegeben, ziemlich am Anfang seiner Berufslaufbahn: In den 1990er-Jahren stieß er als junger Offizier zum legendären Wehrpolitik-Team des der SPÖ zugerechneten Brigadiers Wolfgang Schneider, der ihn sehr geprägt hat. Nehammer bildete fortan die Info-Offiziere des Bundesheeres aus; mit dieser Erfahrung wechselte er zur niederösterreichischen ÖVP, um in deren Akademie 2.1 Kommunalpolitiker auszubilden.

Auch das dürfte für Nehammer sehr lehrreich gewesen sein: Heute bezeichnet er es als großes Asset der Volkspartei, dass sie in den Gemeinden so gut vernetzt ist. Denn die Kommunalpolitiker hätten wirklich das Ohr am Volk, da riefen die Bürger mit ihren Sorgen an – und sei die Sorge auch nur ein klappernder Kanaldeckel. Wer diese Sorgen zu hören bekommt, bekommt auch mit, welche anderen Themen die Menschen bewegen: "Alles, was in der Kommunalpolitik stattfindet, passiert auch in der 'großen' Politik", sagt Nehammer.

Feedback von der türkisen Basis

Perfektioniert wurde das System im Bauernbund: Dort wird noch jedes Mitglied einmal im Jahr besucht – "Hausbesuche, bei denen die Mitglieder den Bauernbundkalender überreicht bekommen, geben der Politik ein Gesicht, da bekommt man viel Feedback."

Als Wahlkampfleiter versucht Nehammer, ständigen Kontakt zu diesen Netzwerken an der Parteibasis zu halten – im Wahlkampf gehe es nämlich nicht nur darum, die eigenen Botschaften zu verbreiten, sondern auch die Signale der Basis aufzunehmen, zu verarbeiten, eventuell in die Kampagne einzubauen. "Damit sichtbar wird, dass uns wichtig ist, was den Leuten wichtig ist", besucht Nehammer die Bezirksparteisekretariate.

Spannungsfeld von Partei und Bewegung

Wobei schon die Kampagne des Jahres 2017 gezeigt hat, dass die gewachsenen schwarzen Strukturen für die Parteiarbeit zwar wichtig sind, die Volkspartei ihr Wählerpotenzial aber vor allem über die viel lockerere Bindung an die türkise "Bewegung" ausweiten kann. Damals wurde der bekannte Radiomoderator Peter L. Eppinger auf Österreichtournee geschickt, um den Kanzlerkandidaten Sebastian Kurz zu bewerben. 250.000 Kontakte wurden auf diese Weise etabliert – 250.000 potenzielle Multiplikatoren, die auch jetzt wieder angesprochen werden. Und Eppinger ist auch heuer wieder unterwegs: Allein oder mit den "Bergauf"-Touren von Kurz – "da trifft Bewegung auf Partei", formuliert der Generalsekretär die Strategie und betont die Wichtigkeit, die lockere Bindung dieser Bewegung an die Politik auch abseits der Wahlkämpfe zu pflegen.

Die Auswertung von Whatsapp-Gruppen mit diesen Unterstützern der türkisen Bewegung habe etwa ergeben, dass da nicht nur "richtig viele Antworten" kommen, sondern "dass die Leute auch an ganz anderen Dingen interessiert sind als die Parteimitglieder".

Abtrünnige Kurz-Fans

Feiern, Stimmung machen – das kann die ÖVP, hat sie eigentlich immer gekonnt. "Die Kernbotschaft ist aber: Stimmung ist noch keine Stimme", sagt Nehammer. Er kennt die Gefahren, die einer Kampagne drohen, wenn die allgemeine Stimmung so gut ist, dass potenzielle Wähler davon ausgehen, dass das von ihnen gewünschte Wahlergebnis sowieso eintreten wird. Wenn Fans von Sebastian Kurz schon jetzt von dessen Wahlsieg überzeugt sind, dann könnten durchaus einige auf die Idee kommen, dass es auf ihre Stimme nicht ankäme – und daheim bleiben oder sogar ihre zweit- oder drittliebste Partei wählen.

Vergleichbares hat Nehammer in seiner Zeit bei der niederösterreichischen ÖVP erlebt, die mehrfach die sicher scheinende Mehrheit für den alles überstrahlenden Landeshauptmann Erwin Pröll verteidigen musste. Die Formel, die Nehammer nun jedem mit auf den Weg gibt, der sie hören will (und wohl auch etlichen, die sie nicht so gern hören): "Wer Sebastian Kurz will, der muss auch Sebastian Kurz wählen." Das hat man so auch über Pröll gehört. Und ebenso aus Niederösterreich entliehen, klingt die Botschaft so: "Wenn es eine Mehrheit gegen Kurz gibt, wird sie gegen uns arbeiten."

Christlichsoziale Inhalte

Und Inhalte? Ja, die werde es im Wahlkampf zuhauf geben, versichert der Generalsekretär. Besonders das christlich-soziale Element will er betonen, das Menschen- und Familienbild, das die Volkspartei von allen anderen Parteien unterscheidet. Da hätten die Reformen der türkis-blauen Regierung eine gute Basis geschaffen. Nun gelte es, den Weg fortzusetzen – Arbeitsplätze zu schaffen, von deren Entlohnung man gut leben kann, eine Pflegeversicherung, die Menschen die Zukunftssorgen nimmt und Pflege daheim begünstigt.

Geplant ist der Wahlkampf wie im Sandkasten der Militärakademie. Die Wirklichkeit in einer Wahlschlacht kann aber durchaus anders aussehen: "Wir sehen ja leider, dass es Dirty Campaigning gegen uns gibt." Karl Nehammer wäre ein schlechter Offizier, wenn er damit nicht fertig werden könnte. (Conrad Seidl, 6.8.2019)