Im ersten Halbjahr 2019 starb in der brasilianischen Großstadt Rio de Janeiro alle fünf Stunden ein Mensch durch Polizeischüsse. Obwohl die Bandenkriminalität wie auch generell die Gewalt auf den Straßen hoch ist und viele Menschen in Schießereien mit der Polizei ums Leben kommen, sind zahlreiche Menschenrechtler dennoch besorgt angesichts der eklatant steigenden Zahlen, die, wie sie finden, durch die Rhetorik des Präsidenten Jair Bolsonaro noch befeuert werden.

Alle fünf Stunden stirbt in Rio de Janeiro ein Mensch durch Schüsse der Polizei.
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"Abscheuliche Worte" seien es, die Bolsonaro verwende, sagte etwa der Menschenrechtsaktivist Ariel de Castro Alves zum "Guardian". Bolsonaro hatte zuvor im Rahmen eines neuen Polizeigesetzes angekündigt, dass "Kriminelle wie die Kakerlaken in den Straßen sterben werden, und das ist gut so". Das neue Gesetz sieht nämlich einen umfassenden Schutz für die Staatsgewalt bei der Verfolgung mutmaßlich Krimineller vor. Zahlreiche bisher als illegal eingestufte Aktionen würden dadurch gesetzeskonform. Das Gesetz muss allerdings noch vom Kongress abgesegnet worden.

"Ungleicher Kampf"

Das Gesetz sei notwendig, weil die brasilianische Polizei einen "ungleichen Kampf" gegen Kriminelle führe. Wenn sie ihre Waffen einsetzen, sollen Polizisten dafür "ausgezeichnet und nicht vor Gericht gestellt werden", so Bolsonaro. "Aufrichtige Bürger" würden auch größeren Schutzes bedürfen, sollten diese sich mit Waffengewalt verteidigen müssen, argumentierte der Präsident, was Unterstützer erfreute und bei der Opposition Entsetzen auslöste.

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Präsident Bolsonaro sagte einst: "ein Polizist, der nicht tötet, ist kein Polizist."
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Alves behauptet, dass Bolsonaros Rhetorik seit seinem Amtsantritt am 1. Jänner 2019 bereits einen signifikanten Anstieg der Todesopfer gebracht habe. Er war im Wahlkampf unter anderem deshalb erfolgreich, weil er auf harte Verbrechensbekämpfung gesetzt hatte. Bei den Getöteten handle es sich hauptsächlich um ärmere, junge, schwarze Männer, analysiert Alves.

In der ersten Jahreshälfte 2019 hätte es in São Paulo mit 414 Tötungen durch die Polizei so viele wie seit 2003 nicht mehr gegeben. Auch in Rio de Janeiro habe es mit 434 Tötungen innerhalb der ersten drei Monate den höchsten Wert seit mehr als zwei Jahrzehnten und damit einen signifikanten Anstieg gegeben. Fast 900 Personen starben durch Schüsse aus Polizeigewehren bis zur Jahresmitte allein in der Hafenstadt Rio. In der Nähe von Schulen werden mittlerweile Schilder angebracht, die vor exzessiver Waffengewalt warnen.

Morde rückläufig, Zahl an Polizeitötungen steigt an

Während die Gewalt in Brasilien im Allgemeinen eher rückläufig ist – die Zahl der Morde sank im ersten Quartal 2019 laut Gewaltmonitor um 24 Prozent auf den weiterhin extrem hohen Wert 10.324 –, wurden schon im Vorjahr, noch vor Bolsonaros Amtsantritt, bereits deutlich mehr Menschen durch die Polizei getötet. Waren es 2017 noch 5.445 Menschen, stieg diese Zahl 2018 um fast 18 Prozent auf 6.200 an. "Ein Polizist, der nicht tötet, ist kein Polizist", sagte Bolsonaro einst.

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"Sicherheitsoperationen im militärischen Stil hinterlassen oftmals eine Todesspur in armen Regionen und tragen nicht zur allgemeinen Sicherheit bei", warnte Human Rights Watch im Dezember 2018. Während es sich oftmals um legitime Tötungen als letzten Akt des Selbstschutzes handle, habe auch die Zahl von sogenannten extralegalen Tötungen in Brasilien signifikant zugenommen, also solcher unter Beteiligung oder mit der Duldung von Regierungen, zeigt sich Human Rights Watch besorgt. (faso, 6.8.2019)