Die Frage kam nicht überraschend: Ob ich nicht wisse, dass es abgesehen von Burg- und Volksgarten und dem Umland der Hofburg auch in anderen Grün- und Freizeitzonen Wiens sportliches und/oder frühmorgendliches Leben gebe, lautetet sie. Oder ob ich das innerstädtische Treiben in diesen beiden Parks für spannender oder relevanter hielte als das, was anderswo geschieht.

Mitnichten. Aber vergangene Woche hatte ich meinen Fokus eben genau darauf gelegt: Morgensport in jenen beiden Parks, die am nächsten vor meiner Haustür liegen und eine "belaufbare" Größe aufweisen.

Dass das längst nicht alles ist, ist eh klar. Aber die Vorlage, die Runde vom letzten Mal ein wenig zu verlängern, nehme ich natürlich an.

Foto: thomas rottenberg

Um zu sehen, dass ich nicht der Einzige bin, der die Stadt in der Früh als Fitnesscenter nutzt, brauche ich nicht bis zum Ring zu laufen: Noch der kleinste Beserlpark wird mittlerweile "sportlich bespielt" – wobei mir schon klar ist, dass der Esterhazypark kein Beserlpark ist. Am Eck gibt es hier ein Crossfit-Studio – so wie eh schon fast überall in Wien. Spätestens um sieben Uhr morgens sieht man da die ersten "Hardbodys" (männlich wie weiblich) entweder durch die Scheiben oder aber im Fitness-Schanigarten – dem Park.

Gerade der Esterhazypark ist ein gutes Beispiel dafür, dass Fitness als Religion funktioniert wie jeder Glaube: Manche brauchen eine Kirche, andere halten ihren "Gottesdienst" einfach so ab – etwa auf und um die Klettergerüste und Bänke im Park.

Foto: thomas rottenberg

Wobei gerade der Esterhazypark auch eine andere Seite der Stadt zeigt: Parks sind auch Wohnorte. Das ganze Jahr über. Aber tagsüber werden Obdachlose unsichtbar, weil sie gelernt haben, sich in Luft aufzulösen. Und wir sie zu übersehen.

In der Früh geht das nicht, weil ein Schlafsack sichtbar ist.

Vertreiben und Verjagen ist aber nur Oberflächenkosmetik. Das Gegenteil davon kann man hier im Park erleben: Die Initiative Frühstück im Park bringt einmal in der Woche Frühstück. "Wir sind keine Sozialarbeiter, sondern einfach Leute, die Nachbarn auf einen Kaffee einladen." Gut so.

Foto: thomas rottenberg

Auch wenn es hier heute nicht um Burg- und Volksgarten gehen soll, liegen die beiden doch auf meinem Weg nach egal wohin (ausgenommen Schönbrunn. Die Laufgruppen dort werden bestimmt wieder mal Thema). Dass der Burggarten nicht nur von Menschen zum Auslüften und Bewegen genutzt wird, ist eine Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt ist: Den Doppelzaun auf einer der Wiesen kennen viele. Hin und wieder sieht man da auch Junglippizaner herumtollen. Ungesattelt.

Aber mit Bereiterinnen und Bereitern sind die Hottehüs der Hofreitschule hier auch ab und zu zu erleben. Sicherheitshalber, bevor die Touristen losgelassen werden. Hin und wieder kommen die Damen und Herren sogar in Galauniform in den Park. Kunststücke gibt es hier aber nicht. Zumindest habe ich hier noch nie welche miterlebt.

Foto: thomas rottenberg

Der nächste Park ist dann der Stadtpark. Im Gegensatz zu Volks- und Burggarten ist der tatsächlich öffentlich, also 24/7 nutzbar. Das ist gut und wichtig und richtig. Aber es hat eine Schattenseite: Müllmengen, wie sie hier allmorgendlicher Normalzustand sind, gibt es in den nächtens zugesperrten Parks eben nicht. Nicht in diesem Ausmaß: Der Burggarten ist zwar von einer Seite auch bei Nacht halb zugänglich und dann reichlich verdreckt, aber schon die Halbsperre macht einen Unterschied.

Während die Mitarbeiter der Bundesgärten (Burg und Volksgarten "gehören" nicht der Stadt) sich primär um Wiesen und Blumen kümmern, gilt es im Stadtpark zunächst einmal Dreck zu entsorgen. Sehr unleiwand. Fürs Zusperren bin ich trotzdem nicht.

Foto: thomas rottenberg

Die "Schuldigen" als Gruppe – aber nicht als Individuen! – zu identifizieren ist einfach: junge Nachtschwärmer. Der Park ist eben offen. Und wer nicht durchgehend konsumieren will oder kann, sucht sich dann konsumpflichtfreie Zonen – um dort, Überraschung, zu konsumieren. Ich – wir, Sie – war da keinen Deut anders oder besser. Und auch wenn ich mich heute frage, worin der Reiz lag, um halb sieben übernachtig, verkatert, durchgefroren und vom Tau nass noch immer im Park abzuhängen, habe ich das nicht ganz vergessen.

Ich könnte jetzt natürlich sagen, dass wir damals unseren Dreck weggeräumt haben. Aber das wäre gelogen. Obwohl ich weiß, dass diese Lüge so gängig ist, dass die meisten Erwachsenen sie sich mittlerweile selbst glauben.

Foto: thomas rottenberg

Was ich aber nie verstanden habe: Wieso junge Frauen in Parks allein auf Wiesen schlafen. Respektive warum ihre Freunde sie allein liegen lassen: Dieses Mädchen gehörte nicht zur Gruppe, die auf den Bänken die Nacht ausklingen ließ. Aber niemand kümmerte sich um sie.

Wobei das hier doch nicht ganz stimmt: Der Stadtgärtner hatte sie gut im Blickfeld. In ungefähr 20 Minuten würden die ersten Tourigruppen hier einmarschieren. Und die Wiese hier ist so groß und einsehbar, dass jeder auffällt, der sich der Schläferin genähert hätte. Der Stadtpark ist hier weit und offen – und dass es keinen Zaun gibt, macht ihn auch nicht unmittelbar zur Falle.

Trotzdem.

Foto: thomas rottenberg

Was ich jetzt beinahe zu erzählen vergessen hätte: Im Stadtpark trifft man frühmorgens etliche Läufer aus aller Welt. Aber bis auf ein einziges Mal – und das an einem nasskalten Herbsttag – habe ich hier noch keine Yoga-, Tai-Chi-, Crossfit oder andere Trimm-Gruppe gesehen. (Die Falun-Gongs kommen immer erst ein bisserl später zum Strauss-Denkmal.)

Und auch wenn das jetzt ein kurzer Zeit- und Themensprung ist: Der Stadtpark erfüllt auch eine ganz andere Sportaufgabe. Als Pokemon-Jagdzone – nicht bloß für ein oder zwei Retrogamer. Oh nein, ganz im Gegenteil!

Foto: thomas rottenberg

Als wir vergangenen Sonntag – nicht morgens, sondern am Nachmittag – hier durchliefen, dachte ich zunächst, dass ein paar internationale Jugend-Touri-Gruppen grad Station machten. Aber es waren zu viele Leute – und Alter und Herkunft zu gemischt: So voll ist der Stadtpark sonst nur, wenn irgendwelche Fressmeilen aufgebaut sind. Aber auch das war es nicht.

Also fragte ich. Und staunte: In meiner Wahrnehmung ist der Pokemon-Craze schon lange vorbei.

Dass dem ganz und gar nicht so ist ("Ihr habt ja keine Ahnung! Das ist jetzt viel größer als damals, als es in den Medien war"), nahmen wir staunend zur Kenntnis.

Das Nette: Für die Gamer waren wir ebensolche Freaks wie sie für uns. Man muss ja nicht immer verstehen, was andere begeistert – akzeptieren reicht vollkommen.

Foto: thomas rottenberg

Zurück zum frühen Morgen. Vom Stadtpark an den Donaukanal ist es nicht einmal ein Katzensprung. Und der ist – sporttechnisch – längst so etwas wie die zweite Hauptallee. Hier wird praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit gelaufen oder Rad gefahren.

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, zu denen man hier ziemlich allein war und wo auch tagsüber niemand auf die Idee gekommen wäre, den Kanal als Freizeitmeile zu nutzen. Nein, das ist nicht 20 oder auch zehn Jahre her: Wien lag bis vor kurzem nicht an, sondern neben seinen Flussläufen. Dass sich das in den letzten Jahren massiv geändert hat, ist unübersehbar – auch wenn Wiens VP-Stadtchef da gerade erst draufkommt: Die von Gernot Blümel soeben präsentierte Idee einer Surfwelle in Nussdorf, also am Einlaufwehr des Kanals, ist seit mehr als zehn Jahren immer wieder transportiert und referiert worden. Einmal googeln wäre den Journalisten, die Blümels "Initiative" volley übernahmen, zumutbar gewesen: Zuletzt war dieser fliegende Sommerlochholländer 2018 durch die Gazetten gegeistert.

Foto: thomas rottenberg

Aber ich schweife schon wieder ab. Schließlich geht es hier auch heute wieder um Sport an Land. Und mittlerweile ist auch der Donaukanal nicht nur von Läufern und Radfahrern, sondern auch von Workout-Anbietern erschlossen.

Viel geeignete Plätze gibt es zwar nicht – dafür sorgen nicht zuletzt die Hundebesitzer. Aber knapp unterhalb vom Tel-Aviv-Beach wird unter Anleitung (und obligater Spende) regelmäßig und mit System geturnt. Angeblich sogar in mehreren Schichten in Folge: Die Nachfrage dürfte groß genug sein.

Foto: thomas rottenberg

Dann kommt man – endlich – in den Prater. Ich habe es noch kein einziges Mal – egal zu welcher Uhrzeit – geschafft, vom Lusthaus zum Praterstern oder in die Gegenrichtung zu laufen, ohne andere Läuferinnen oder Läufer zu treffen.

In der Früh ist hier dann natürlich extra viel los. Und längst nicht nur monoton laufend: Die Damen dieser Laufgruppe sehe ich immer wieder auf der PHA. Treffpunkt dürfte beim Verkehrsgarten sein. Dann wird aufgewärmt, an der Stabi und der Lauftechnik gearbeitet. Erstens, weil es den Körper freut. Und zweitens, weil man so vielen Verletzungen und kleinen Auas gut vorbeugen kann.

"Wenn du ein Foto von uns bringst, musst du aber dazuschreiben, dass wir die Supergirls sind." Klar, gern. "Und weil du so nett gefragt hast, darfst du auch gleich mitmachen. Das schadet nämlich auch Männern nicht." Okay, ein anderes Mal.

Foto: thomas rottenberg

Was die PHA so ideal macht, ist nicht bloß ihre Länge. Der Boulevard eignet sich perfekt auch für größere Gruppen.

Und auch wenn Firmenlaufgruppen meist erst am Nachmittag, nach Büroschluss unterwegs sind, gibt es auch immer wieder Early-Bird-Schwärme. Nach dem Lauf geht es gemeinsam in die Firma: Schlaue Unternehmen sorgen dafür, dass es auch Duschmöglichkeiten gibt. Kostet nicht viel – bringt aber eine Menge. Nicht nur aus Läufersicht.

Hier im Bild: eine Gruppe, die von Alfred Sungi (Mitte) betreut wird. Sungi ist eine der megasympathischen Legenden der Wiener Laufszene – und fast immer hier. Ein Porträt von ihm steht schon lange auf meiner To-do-Liste. Irgendwann schaffe ich das dann auch mal. Bestimmt. Versprochen.

Foto: thomas rottenberg

Die Hauptallee und ihre Nebenwege sind der Dorfplatz der Wiener Laufwelt: Hier trifft man irgendwann fast jeden, der oder die in Wien läuft. Spitzensportlerinnen und -sportler genauso wie dicke Omis und Opis in viel zu dicken Jacken. Cani-Crosser (also Läufer mit Hunden), Nordic Walker, Endlos-Ultra-Läufer beim 100-Stunden-Training, Swimrunner im Neoprenanzug (okay, sehr selten), während des Schuljahres die Kinderlaufgruppen des Blindeninstitutes und und und.

24/7. Aber eben auch jene Läuferinnen und Läufer, die die frühen Randzonen des Tages allein nutzen, weil da der Kopf noch frei ist. Und weil ein Tag besser beginnt, wenn man schon etwas erledigt hat, wenn man im Office aufschlägt. Etwas, das nur einem selbst gehört.

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Das gilt es zu respektieren.

Darum habe ich Rainer Schüller, den stellvertretenden Chefredakteur des STANDARD, und seine Frau Ursula Tichy nach einem kurzen "Hi" und zwei, drei Sätzen übers Morgenlaufen ihre Runde auch in Ruhe weiterlaufen lassen.

Denn neben dem sportlichen und gesundheitlichen Benefit soll Laufen nämlich vor allem eines haben und sein: Quality-Time – also Zeit, die man ungestört von Job, Alltag und Kollegen genau so verbringt, wie man es will, und mit genau jenen Menschen, auf die es wirklich ankommt.

Nur das zählt. Alles andere ist, wie der Goleador einst so richtig gesagt hat, primär. (Thomas Rottenberg, 7.8.2019)

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