Mit dem Ruf nach Fairness wollen sich die Parteien in erster Linie selbst medial positionieren.

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Was ist schon unfair? Eine zugespitzte Schlussfolgerung aus dem Wahlprogramm des Gegners? Ein angriffiger Sager in der Fernsehdiskussion? Ein mehr oder weniger lustiger Slogan auf dem Plakat? Bereits bei der Definition beginnen die Schwierigkeiten.

Eine gängige Unterscheidung im Wahlkampf ist jene zwischen Negative und Dirty Campaigning: Als negativ gilt sachlich begründete Kritik, die als solche wesentlicher Teil der politischen Auseinandersetzung ist. Schmutzig (dirty) sind im Umkehrschluss all jene Angriffe, die etwa auf Gerüchten oder Unterstellungen beruhen, bewusst falsch interpretieren – und nicht zuletzt rein persönliche Attacken. Wirklich trennscharf ist diese Einteilung in der politischen Praxis kaum.

Dazu kommt, dass die Bewertung davon, welche Mittel im Wahlkampf gerechtfertigt sind und welche nicht, wie so oft im Auge des Betrachters liegt. In der ORF-Wahltagsbefragung zur Nationalratswahl 2017 hielt jeweils eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler einer Partei deren Angriffe auf die Kontrahentinnen und Kontrahenten für zulässig. Selbst bei der von der Silberstein-Affäre gebeutelten SPÖ war dies (weniger klar als bei ÖVP und FPÖ) noch der Fall. Man könnte es auch so zusammenfassen: Unfair sind in erster Linie immer die anderen. Einschränkend ist anzumerken: Die Daten zeigen nicht, ob und wie viele Personen die Partei gewechselt haben oder daheim geblieben sind, weil sie den Wahlkampf "ihrer" Partei abgelehnt haben, sondern nur die Ansicht der Verbliebenen.

Auch unfaire Angriffe ergeben Sinn

Begründet wird der aktuelle Ruf nach Fairness unter anderem damit, dass die Bevölkerung Streit und wechselseitige Beschuldigungen satt habe. Das mag so sein, die niedrigen Vertrauenswerte für Politikerinnen und Politiker sowie Parteien lassen sich entsprechend interpretieren. Das Problem ist jedoch, dass (auch unfaire) Angriffe als Strategie im Wahlkampf durchaus Sinn ergeben können: Dann nämlich, wenn man etwa überzeugt ist, die Anhängerinnen und Anhänger einer anderen Partei stärker ins Nichtwählerlager zu vertreiben als die eigene Basis. Die Mandate werden nun einmal aufgrund der abgegebenen gültigen Stimmen vergeben, egal ob 80, 50 oder 30 Prozent zur Wahl gehen. Das ist demokratiepolitisch kaum zu rechtfertigen, als kurzfristiges Mittel zum Zweck des Wahlerfolgs aber mitunter sehr verlockend.

Apropos Mittel zum Zweck: Bei allen guten Absichten dienen die Rufe nach Fairness-Vereinbarungen wohl hauptsächlich als mediale Botschaften, um sich bei diesem Thema entsprechend zu positionieren. Ob das über die Ankündigung hinaus hilft, die in demokratischen Wahlkämpfen notwendigen Konfrontationen in einem sachlichen Rahmen zu halten, werden erst die kommenden Wochen zeigen. (Flooh Perlot, 6.8.2019)