Drastische Antworten zu den Themen Körper, Weiblichkeit und Freiheit der Kunst: Maria Metsalu als "Mademoiselle x".

Foto: Alain Proosa

Performance- und Choreografieschaffende haben es zurzeit wieder schwer – vor allem der Nachwuchs. Diesmal allerdings geht es weniger ums Geld, sondern ans Eingemachte: die Kunst selbst. Denn die Zeiten, in denen künstlerisch frei experimentiert werden durfte, scheinen vorbei. Aber halt! Gibt es nicht doch etliche, die – abgesehen davon, dass Choreografen mit ihren Tänzern respektvoll umzugehen haben – auf Vorgaben pfeifen?

Da lohnt es sich, bei der Impulstanz-Plattform [8:tension] für aufstrebende Choreografie nachzuschauen, die auch dieses Jahr mit zwölf Positionen gut bestückt ist. Drei davon sind in den letzten Festivaltagen noch zu sehen, und am Sonntag wird ein Young Choreographers' Award verliehen.

Als leuchtendes Beispiel hat sich bisher Maria Metsalu aus Estland hervorgetan. In der Verkörperung einer verzweifelt nach echter Lebendigkeit suchenden Untoten namens "Mademoiselle x" thematisiert Metsalu unter anderem die Zombifizierung der Kunst. Dafür muss die Performerin aus einem kalten Blutbad steigen und besorgniserregende Dinge mit ihrem Körper anstellen, die damit zu tun haben, dass gerade so einiges auf der Kippe steht: der Körper, die Weiblichkeit, die Freiheit von Kunst. Ein mutiges und an radikale Performancetraditionen erinnerndes Solo, auch deshalb, weil es trotz seines tiefsitzenden Witzes keinen Platz für die gerade gängige Optimismuswerbung lässt.

Die Pillennummer

Das hat die selbstverschleißende "Mademoiselle x" übrigens mit dem kanadisch-amerikanischen Paar Ellen Furey und Malik Nashad Sharpe in deren Duett Softlamp.autonomies gemeinsam. Die beiden in ihren schicken weißen Fitness-Outfits brennen erst einmal Räucherstäbchen ab, bevor sie sich zum Loop der Nummer Pillen des Wiener Rappers Yung Hurn einen Tanz reinziehen, der so oberflächlich ist wie das Durchschnittsdasein in unserem Konsum-Ödland selbst.

Erst gegen Ende ihres langen Tanzes brüllen sie zu zweit auf, weil das alles kaum noch auszuhalten ist: die aufgesetzte Coolness, Yung Hurns beschränkt wirkendes Seiern, der selbstauferlegte Zwang zum Synchrontanz. Aber es führt kein Weg aus dem Spaß-Hamsterrad, in dessen Wirklichkeit sich schon Elfjährige die immer billiger werdenden Rauschpillen einschmeißen. "Danke, du tolle Popkultur!", scheinen Furey und Sharpe zu schreien.

Mit maskenhafter Pop-Coolness tragen sich auch Tobias Koch und Thibault Lac in ein narzisstisches Aufheben um sich selbst. In ihrem Stück Such Sweet Thunder wird allerdings das kritische Moment durch astreine Eitelkeit ersetzt. Derlei Selbstverliebtheit, die affektierte Allüren wiederaufbereitet, wie sie einmal im Ballett existierten, ist eine verbreitete Erscheinung in einer bestimmten Richtung der zeitgenössischen Choreografie.

Wie ein Alien

Eine andere formiert sich aus dem Bedürfnis, an bestimmten Konjunkturen nicht teilhaben zu wollen, wie das etwa Samuel Feldhandler in seinem bewundernswerten Tanz-Trio 'd he meant vary a shin's vorzeigt. Der 26-Jährige konzentriert sich hier auf die Reflexion der tänzerischen Postmoderne etwa von Trisha Brown der 1970er.

Ebenso wie ein Alien im Vergleich mit dem Mainstream, der sich gerade durch diverse künstlerische Selbstverpflichtungen zwängt, wirkt Eric Arnal-Burtschy in seiner Storytelling-Performance "Why we fight". Mit dem Mut der Ehrlichkeit wagt sich der Tänzer und Angehörige der französischen Armee an die Aufarbeitung seiner Kampferfahrungen. Das ist bisher wohl die inhaltlich bemerkenswerteste Arbeit im Programm von [8:tension].

Nein, man muss sich noch keine Sorgen um den Nachwuchs machen, solange es auch Festivals und Häuser gibt, die nicht den immergleichen Identitätssermon abspulen. Was kommt noch? Sicher vielversprechend bei [8:tension] sind das ägyptische Duo nasa4nasa mit seiner ironischen Kollapsstudie Suash und das exzellent choreografierte russische Trio Time to Time von Tatiana Chizhikova und Roman Kutnov. (Helmut Ploebst, 6. 8. 2019)