Er ist nicht zu übersehen, trotz des Trubels um ihn herum. Andreas Kronthaler, Vollbart, geknotetes Halstuch, Bergschuhe, sitzt mitten im Café Tomaselli in Salzburg. Den Kaffeetisch vor sich lässt der hünenhafte Modedesigner noch kleiner wirken. Er muss sich hinter keiner Zeitung verstecken. Niemand erkennt den 53-jährigen Ehemann von Vivienne Westwood. Zu seiner Tasse Tee ordert Kronthaler eine Cremeschnitte, denn "die gibt es nur in Österreich" .

Der Designer Andreas Kronthaler hat ein Faible für Schuhe, Unterwäsche – und wie Ehefrau Vivienne Westwood einen Sinn für Exzentrik.
Foto: apa/afp/archambault

Wenn der gebürtige Tiroler den Mund aufmacht, mag man kaum glauben, dass er seit Jahrzehnten in London lebt. Kronthaler, der aussieht wie eine Mischung aus Pirat und Bergbauer (sein Geheimnis: zweimal die Woche Pilates in einem Londoner Studio), hat sich nicht nur den Dialekt und das bodenständige Wesen bewahrt, er hat auch die Ruhe weg.

Vielleicht liegt das daran, dass er an diesem Morgen direkt von seinem Bauernhof in Alpbach gekommen ist. Dort hat er gerade erst mit seinem Bruder einen Zaun repariert, am Abend muss der 53-Jährige auch schon wieder zurück. Kronthaler lässt seine Frau ungern über Nacht allein auf dem Hof (kein Telefon, dafür gibt's WLAN).

Der ewige Kronprinz

Was die einstige Punk-Ikone Vivienne Westwood am Berg macht? "Sie ist die ganze Zeit am Lesen." Momentan schreibe sie Gedichte: "Die können sich auch mal um ein Elektroauto drehen." Was klingt wie ein Witz, ist genau so gemeint. Westwood, stolze 78, ist mittlerweile für ihr Umweltengagement genauso bekannt wie für ihre Eintragung in den Modelexika als britische Ikone des Punk. Andreas Kronthaler gilt hingegen seit drei Jahrzehnten nicht nur als der "Mann an ihrer Seite, sondern auch als der ewige Kronprinz im Unternehmen Westwood.

Oder, wie der Designer selbst sagt: "Vivienne war immer die Galionsfigur und ich so was wie das Rumpelstilzchen." Lange war die Rollenverteilung – sie das Aushängeschild, er zweite Reihe – kein Problem für den Österreicher. Brancheninsider wissen ohnehin um seine Bedeutung im Unternehmen: Der Tiroler, der schon als Kind seiner Barbie die Kleider auf den Leib genäht hat, ist der perfektionistische Part im Hause Westwood.

Hosen an

Und Kronthaler ist selbstbewusst genug, um im Brustton der Überzeugung zu sagen: "Bei uns habe ich die Hosen an." Er ist lange genug dabei. Die beiden, ein ungleiches Paar, lernten sich 1989 an der Universität für angewandte Kunst in Wien kennen, dann ging es hopplahopp. Sie, die Dozentin, damals um die Fünfzig, nahm den Studenten aus dem Zillertal (zuvor Matura in Graz und Ausbildung zum Goldschmied) mit nach London, 1992 heirateten die beiden, fürs Erste in aller Heimlichkeit. Dann blieb der Mittzwanziger einfach an der Themse.

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Ein Model trägt Mode von "Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood".
Foto: Reuters/Rossignol

Fast drei Jahrzehnte später redet Kronthaler davon, dass sich die Dinge innerhalb des Unternehmens nun "ganz behutsam" veränderten. Das war notwendig. Die Modeindustrie hat sich gewandelt: "Früher gab es dutzende Firmen wie unsere, die nicht zu einem Großkonzern gehören. Heute ähnelt sich vieles, weil es aus derselben Maschine kommt." Und auch wenn Kronthaler ungern darüber redet, schwebt das Alter der 78-Jährigen über den Dingen: "Vivienne ist super beinand', nach wie vor sehr verstrickt ins Tagesgeschehen und hat noch wahnsinnig viel vor, aber die Zeit wird kommen."

Einige Veränderungen wurden schon angestoßen. Die Unternehmensstruktur wurde neu überdacht. Segmente wie die Jeanslinie und Anglomania sind verschwunden, dafür wurde vor drei Jahren die Linie "Gold" in "Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood" umbenannt. Auch das ein Zeichen, natürlich: "Wir haben aufgeräumt, reduziert, uns der Zeit angepasst. Dinge müssen sich verändern, sonst stagniert man."

Die Designerin, die im Oktober in der Wiener Staatsoper mit dem Europäischen Kulturpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird, protestierte 2019 gegen die Festnahme von Julian Assange
Foto: APA/AFP/NIKLAS HALLE'N

Die Strategie scheint aufzugehen. Das war im Frühjahr während der Modewoche in Paris zu beobachten, wo der Tiroler seine Show zwar als Polit-Performance präsentierte, der Kollektion aber einen eigenen Anstrich gab. Der 53-Jährige ließ Plateauschuhe und Bustierkleider, alles typische Westwood-Elemente, aufmarschieren, doch er verzichtete auf schrille Slogans. Er wolle schließlich nicht wie Vivienne Westwood klingen, erklärte der Designer gegenüber dem britischen Guardian, der feststellte: "Kronthaler tritt aus Vivienne Westwoods Schatten."

Die Veränderungen lassen sich auch an den Zahlen ablesen. 2017 verzeichnete das Modehaus ein Plus von neun Prozent. Dabei hatte das Label modisch lange kaum Staub aufgewirbelt, die Renaissancekorsetts, die lauten Kollektionen wirkten aus der Zeit gefallen. Kein Wunder, Vivienne Westwood inszenierte sich viel lieber als Polit-Aktivistin. Die Britin erklärte, der Klimawandel sei ihr wichtiger als die Mode. Sie verteidigte gemeinsam mit dem früheren Baywatch-Star Pamela Anderson Julian Assange, protestierte gegen Fracking und die Klimapolitik, fuhr in einem Panzer vor dem Haus des ehemaligen Premierministers David Cameron vor und wiederholte in Interviews ihr Mantra: "Kaufen Sie nichts!"

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Aktivistinnen und Freundinnen: Pamela Anderson 2009 mit Vivienne Westwood.
Foto: Getty Images/Antonio de Moraes Barros Filho/WireImage

"Fashion for Future"

Mittlerweile spielt das authentische Polit-Engagament der Nonkonformistin dem Image des Unternehmens in die Karten. Spätestens seit den Fridays-for-Future-Demos in den europäischen Großstädten sind "Westwoods Themen" omnipräsent, das beobachtet auch Kronthaler.

"Man spürt in London eine sehr engagierte, junge Generation." Welche Konsequenzen der Brexit für Modeunternehmen wie Vivienne Westwood hat? Das sei schwer zu sagen: "Es herrscht Chaos, man lebt in einer Ungewissheit." Dem Unternehmen Westwood gelingt es dennoch, eine neue Frische auszustrahlen. Wenn zum Beispiel die körperbewusste Tahliah Barnett, bekannt als Popstar FKA Twigs, in einem Vintage-Korsettkleid von Vivienne Westwood auftritt, sieht das plötzlich ziemlich heiß und zeitgemäß aus. Nicht umsonst erlebt die Korsage gerade ein Comeback.

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Diversität wird bei Westwood großgeschrieben.
Foto: Reuters/Henry Nichols

Auch gelungen: Die Zusammenarbeit von Westwood und Kronthaler mit dem Traditionsunternehmen Burberry, das sich gerade neu aufstellt. Im vergangenen Jahr hatte man zusammen mit dem frischgebackenen Designchef Riccardo Tisci eine Kollektion herausgebracht – Stücke aus der Punk-Ära wurden in die heutige Zeit übersetzt und sahen plötzlich ziemlich tragbar aus. Für die Kooperation posierten Westwood, Kronthaler und Tisci gleichberechtigt nebeneinander (siehe Foto). Man kann hier schon ahnen: Der Tiroler wird einmal die Marke Vivienne Westwood verkörpern können, ohne alles genauso zu machen wie die Labelgründerin.

Der neue Burberry-Designer Riccordo Tisci hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit Westwood und Kronthaler eine Kollektion herausgebracht.
Foto: Courtesy of Burberry/Brett Lloyd

Der Österreicher strampelt sich derweil in den sozialen Netzwerken frei – auf seine Art und Weise: Auf dem persönlichen Instagram-Account kann man (im Gegensatz zu dem 1,6 Millionen Follower schweren Unternehmensprofil Vivienne Westwood) gemeinsam mit seinen rund 9.000 Abonnenten durchs Schlüsselloch schauen. Denn dort ist der Designer gnadenlos privat, seine Frau als Protagonistin des Accounts stets präsent. Mal zeigt Kronthaler einen Schnappschuss von Vivienne Westwood vor einer Reihe von Gläsern mit selbstgemachter Marillenmarmelade, ein andermal sitzt die 78-Jährige im Nachthemd auf einem Futtertrog vor dem Bauernhof, während des Wahlkampfs zur Europawahl postete Kronthaler Fotos, die ihn gemeinsam mit seiner Frau in T-Shirts des deutschen Fotografen Wolfgang Tillmans zeigen.

Im Gespräch wird klar: Der Tiroler mag das politische Engagement seiner Frau teilen, doch die Schärfe, die tatsächliche Auseinandersetzung mit politischen Themen, die geht dem Designer ab. Andreas Kronthaler wird in Zukunft sicher nicht auf die Barrikaden gehen. Die vergangenen Kollektionen haben gezeigt: Das ist auch gar nicht nötig. (Anne Feldkamp, 27.8.2019)