Die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) und die damit verbundene „Neue Seidenstraße“ sind enorme Investitions- und Infrastrukturstrategien von historischer Dimension. Seit Oktober 2013 hat China 421 Milliarden US-Dollar in die 75 halboffiziellen Länder der Seidenstraße investiert. Davon betroffen sind auch die postsowjetischen Staaten in Zentralasien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan.

Der öffentliche Diskurs in Politik und Wirtschaft zur chinesischen Seidenstraßeninitiative ist nach wie vor von der Frage geprägt, wieweit China die immensen Investitionen dazu nutzt, eine Vormachtstellung in der Region aufzubauen. Damit verbunden ist auch die Frage, ob bzw. zu welchem Grad die betroffenen Länder von der Initiative langfristig sozioökonomisch profitieren werden. Für europäische Unternehmen stellt sich wiederum die Frage, inwieweit die chinesischen Investitionen auch für diese Geschäftschancen eröffnen. Auch wenn es für eine abschließende Beantwortung dieser Fragen in vielerlei Hinsicht noch zu früh ist, kann grundsätzlich festgellt werden, dass mit den Investitionen große Chancen einhergehen. Dies gilt allein schon deswegen, da in den Ländern der Region dringend benötigte Infrastruktur aufgebaut wird.

Vor diesem Hintergrund hat das Interesse europäischer Unternehmen insbesondere an Zentralasien in jüngster Vergangenheit deutlich zugenommen. In den meisten Fällen geht es (noch) darum, strategische Entscheidungen über ein zukünftiges Engagement in der Region zu treffen. Politische Risikoanalysen bilden (neben Marktanalysen) hierfür eine wesentliche Grundlage. So stellt sich die Frage, welche Chancen und politische Risiken für multinationale Unternehmen in den postsowjetischen Ländern Zentralasiens mit der Neuen Seidenstraße Chinas letztlich verbunden sind.

Externe und interne Risikofaktoren

Politisches Risiko bezieht sich auf Faktoren, die auf das politisch-institutionelle und gesellschaftliche Umfeld eines Landes zurückgehen und potentiell negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeiten eines Unternehmens haben können. Im besten aller schlechtesten Fälle büßt ein Unternehmen Geschäftsopportunitäten ein. Im Worst Case kommt es zum Verlust einer getätigten Investition ohne Entschädigung, etwa durch Kriegseinwirkung oder Enteignung. Doch grundsätzlich lassen sich politische Risikofaktoren nicht nur auf globaler, regionaler und zwischenstaatlicher Ebene (externe Risikofaktoren) identifizieren. Vielmehr können auch auf Landesebene (interne Risikofaktoren) regelmäßig bedeutende Risikofaktoren ausfindig gemacht werden. Auf beiden Ebenen können vorliegend durchaus unterschiedliche Tendenzen diagnostiziert werden.

Der chinesische Präsident Xi Jinping bei der Eröffnungsrede des Belt-and-Road-Forums im April.
Foto: Reuters

So haben externe politische Risiken in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Das war nicht immer so, denn bis in die jüngste Vergangenheit dominierte die Einschätzung, dass mit der BRI ein hohes regionales Konflikt- und Destabilisierungspotential verbunden ist. Letztlich dringt China in einen geographischen Raum ein, den Moskau aus historisch-kulturellen, sicherheitspolitischen und ökonomischen Gründen dem eigenen Einflussbereich zuordnet.

Inwieweit und mit welchen Mitteln Russland mitunter bereit ist, die eigene Vormachtstellung im sogenannten „Near Abroad“ („Nahen Ausland“) zu verteidigen, wird der Weltöffentlichkeit seit 2014 in der Ukraine vor Augen geführt. Dort hat der regionale Wettstreit über die Assoziierung des Landes mit der EU im Zuge der Östlichen Partnerschaft oder der Mitgliedschaft der Ukraine in der russisch dominierten „Eurasian Economic Union“ (EEU) eine Revolution und Bürgerkrieg, den Kontrollverlust des Landes über Regionen in der Ostukraine und die Annexion der Krim durch Russland herbeigeführt. Auf internationaler Ebene kam es zu einem massiven Konflikt zwischen der EU und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite, der in politische und ökonomische Sanktionen mündete. Multinationale Unternehmen sind seither von dem Konflikt im besonderen Maß betroffen.

Wirtschaftliche Kooperation

Zwischen China und Russland entfaltet sich jedoch eine ganz andere Dynamik, die durch eine zunehmende Kooperationshaltung im Zuge der „Neuen Seidenstraße“ angetrieben wird. Diese mündete 2018 sogar in den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen China und der EEU, der gegenwärtig neben Russland auch Kasachstan, Kirgisistan, Belarus und Armenien angehört. Zwar bestehen die strukturellen Konfliktpotentiale fort, jedoch wird der Einigungsprozess nicht zuletzt auch durch den gemeinsamen “äußeren Feind” bewirkt. Letztlich soll ein strategischer Block gegenüber dem Westen (der EU und insbesondere den USA) gebildet werden. Hinzu kommt, dass Russland von China zunehmend ökonomisch abhängig ist und sich vor dem Hintergrund der fortbestehenden Sanktionen einen weiteren Konflikt nicht leisten kann. In Folge des Wegbruchs westlicher Märkte, der Volatilität auf dem internationalen Rohstoffmarkt, und des hohen Investitionsbedarfs der russischen Wirtschaft, ist das Interesse Russlands an chinesischen Investitionen groß. Vor allem aber hat es China durch die Proklamation rein wirtschaftlicher Interessen und der damit verbunden viel beschworenen „Win-Win-Konstellation“ in geschickter Weise vermieden, in offenen Widerspruch zu russischen Interessen zu treten. Im Endeffekt hat sich ein Modell der „Arbeitsteilung“ zwischen China und Russland formiert: Russland sorgt für Sicherheit und Stabilität in der Region, China für die notwendigen Investitionen.

Derweil erweist sich die EEU im postsowjetischen Zentralasien als bedeutender Anker für politische Stabilität und ökonomische Kooperation, auch wenn das ökonomische Entwicklungspotential der EEU Grenzen aufweist. Bei der EEU handelt es sich um eine Vereinigung von Ökonomien mit klassischen postsowjetischen Strukturdefiziten (Rechtsunsicherheit, Dominanz des Primärsektors, niedrige Diversifikationsraten und Reformanreize). Hinzu kommt, dass die EEU zwar auf die Schaffung einer Zollunion zielt, 2018 jedoch lediglich 60% der Außenzölle harmonisiert waren. Mithin kann die EEU nur als eingeschränkte Zollunion klassifiziert werden. Gleichzeitig findet unter den Mitgliedsstaaten eine nur unzureichende Abstimmung in der Wirtschafts- und Währungspolitik statt. Ausschlaggebend ist auch, dass Russland die EEU dominiert, zumal es 86% der Wirtschaftsleistung stellt. Dies und die außenpolitischen Manöver Moskaus werden von den übrigen Staaten mit Argwohn betrachtet. Diese streben nach maximalen Erhalt ihrer Souveränität. Zwischen den Staaten herrscht zudem Konkurrenzdenken vor. Gleichzeitig sind für sie mit der EEU auch Nachteile verbunden. So haben höhere Außenzölle zu einer Beeinträchtigung des Handels mit China geführt. Usbekistan, das nach dem Tod des Langzeitherrschers Karimov, unter Präsident Mirzijoyev seit Anfang 2017 einen Öffnungs- und Reformprozess durchläuft, hat sich vor diesen Hintergründen der EEU zwar angenähert, strebt gegenwärtig aber keine Mitgliedschaft an.

Berechenbare Unberechenbarkeit?

Multinationale Unternehmen sind derweil gut beraten, die interne politische Risikokonstellation genau zu analysieren. Letztlich finden sich im Landeskontext mitunter die gravierendsten Risiken. Dies ist auf das gemeinsame sowjetische Erbe dieser Länder zurückzuführen, das mit Defiziten im institutionellen Gefüge und im Rechtssystem einhergeht. Das Verhalten der Akteure ist vielfach auf Ausnutzung ihrer staatlichen Machtfunktion gerichtet, um sich unter Aushöhlung des rechtlich gesetzten Rahmens Vorteile gegenüber Wettbewerbern zu sichern oder diese ganz aus dem Markt fernzuhalten/heraus zu drängen. Das Phänomen wird in der Politischen Risikoforschung als State Capture bezeichnet.

Im Ergebnis weisen die betroffenen Länder Defizite in der regulatorischen Qualität auf. Das Rechtssystem zeichnet sich durch politische Abhängigkeiten, eine mangelhafte Garantie der Eigentumsrechte und Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung aus. Vor diesem Hintergrund sind informelle Netzwerke zur Anbahnung und Absicherung der Geschäftstätigkeiten von höchster Bedeutung. Doch solche Netzwerke sehen sich wiederum Instabilitäten, Unwägbarkeiten und einer berechenbaren Unberechenbarkeit ausgesetzt. Zudem stehen informelle Praktiken vielfach in Widerspruch zu unternehmensinternen Compliance Anforderungen.

Hinzu kommt die Instabilität der Herrschaftssysteme. Stabilität wird in den betroffenen Ländern vorrangig repressiv erzwungen. Multinationale Unternehmen sind daher immer auch mit dem Risiko politischer Umbrüche konfrontiert. Solche führen zumeist auch zu einem Verlust des persönlichen Kontaktenetzwerkes. Ein solches muss in der Folge unter schwierigen Bedingungen erst wieder neu aufgebaut werden. Mit der Problematik eines Herrschaftswechsels sahen sich Unternehmen in Turkmenistan (2007/08), Usbekistan (2016/17) und Kasachstan (2019) konfrontiert.

Auch gilt festzustellen, dass politische Risikoanalysen stets die Auswirkungen der landesspezifischen Eigenheiten in der Risikokonstellation herausarbeiten müssen. In dieser Hinsicht gibt es trotz postsowjetischer Gemeinsamkeiten stets auch bedeutende Unterschiede. Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf informelle Netzwerke und Praktiken. Während in Russland hierbei bedeutende Unterschiede zwischen den Regionen zu berücksichtigen sind, sind die informellen Herrschaftsnetzwerke der zentralasiatischen Staaten stärker zentralisiert. Doch stellt sich in Kasachstan wiederum die Frage, wie der neue Präsident Toqajev das informelle System managen wird. Im alten System trat Nazarbayev als zentraler Broker zwischen regionalen Gruppierungen und ihrer Unternehmen in Erscheinung, der die Interessen multinationaler Unternehmen zumeist, doch nicht in allen Fällen, zu protagieren wusste. Derweil hat der neue Präsident Uksbekistans, Mirzijoyev, gegenüber multinationalen Unternehmen ganz im Sinn einer „One-Man-Show“ eine Politik der offenen Tür eingeleitet. Die damit verbundenen politischen Risiken für multinationale Unternehmen bleiben trotz aller Chancen aber hoch. Der Öffnungsprozess befindet sich noch in der Konsolidierungsphase während die formalen Institutionen schwach bleiben. (Hannes Meißner, Johannes Leitner, 12.8.2019)

Hannes Meißner ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Senior Researcher am Kompetenzzentrum Schwarzmeerregion an der FH des BFI Wien.

Johannes Leitner ist Leiter des Kompetenzzentrums Schwarzmeerregion an der FH des BFI Wien.

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