Wie viele Städte werden durch zu viel Tourismus kaputtgemacht? Venedig, Barcelona, Prag sind schon schwer angeschlagen. Darin ist man sich international ziemlich einig. Salzburg ist an der Kippe. Und Wien? Da gehen die Meinungen auseinander.

Wer in der Innenstadt wohnt, leidet von Saison zu Saison mehr. Während sich die Menschen in der Vorstadt über zu viele ausländische Mitbewohner aufregen – Stichwort: fremd im eigenen Grätzel –, fühlen sich die Einwohner des Zentrums durch die vielen Besucher an den Rand gedrängt. Manchmal buchstäblich: Wenn die Marschkolonnen der Bustouristen, der Fremdenführer mit dem Fähnlein vorneweg, die Gehsteige füllen, weicht der Einheimische auf die Fahrbahn aus und drückt sich, so gut es geht, an den Autos vorbei. Stephansplatz und Graben sind praktisch besetztes Gebiet. Und vor dem Café Sacher und dem Gasthaus Figlmüller stehen Schlangen und warten geduldig auf freie Plätze. Schlange stehen für eine Tasse Kaffee? Für ein Schnitzel? Wie einst in Hungerzeiten? Der Einheimische wundert sich.

Fotografierende Touristen auf dem Stephansplatz.
Foto: Heribert CORN

Aber die Optimisten geben Entwarnung. In den Seitengassen geht es immer noch ziemlich normal zu, erklären sie. Sie haben recht. Die Rotenturmstraße wird demnächst Begegnungszone, das soll das Gedränge mindern. Die riesigen Reisebusse, die anderswo Schwierigkeiten machen, dürfen schon seit längerer Zeit nicht in die Innenstadt. Viele Lokale lassen keine Reisegruppen herein und setzen nach wie vor auf ihre Stammgäste. Und den in Mozartfräcke gesteckten Typen, die auf dem Stephansplatz Tickets für drittrangige Konzerte verkaufen und mit unfehlbarem Blick Einheimische von Fremden unterscheiden können, droht demnächst das Aus.

Kitschepidemie

Nichts zu machen ist freilich gegen die Kitsch-Oldtimer, die Besucher mieten können, und auch gegen die girlandengeschmückten Fahrradrikschas, die neuerdings eine Art Bangkok-in-Wien-Gefühl vermitteln sollen. Detto die Kitsch-Souvenirgeschäfte, die sich ausbreiten wie eine Epidemie. Mancher Wiener hat gegen das allgegenwärtige auf allen möglichen Gegenständen reproduzierte Bild von Gustav Klimts Kuss schon nachgerade eine Allergie entwickelt.

Touristen bringen Geld, das lässt sich nicht leugnen. Und das bringt auch die Stadtverwaltung dazu, sich über jeden neuen Besucherrekord zu freuen. Aber dass die Massen auch eine Gefahr für die Lebensqualität in der Stadt darstellen, hat man immerhin erkannt. Norbert Kettner, Direktor des Wien-Tourismus, sagte im Falter, auch er sei dagegen, dass Wien Disneyland werde. "Das darf nicht passieren." Kettners Wort in Gottes Ohr.

Im Grunde ist das Dilemma wohl unlösbar: Schöne Städte sind nun einmal das Ziel von Reisenden. Wer sich über Touristen in seiner Stadt ärgert, ist in anderen Städten selbst Tourist und verärgert die dort Ansässigen. Das Beste, das man erhoffen kann, ist eine halbwegs erträgliche Balance zwischen den Bedürfnissen der Einheimischen und Fremden. Und wer als Wiener in der Reisesaison den Stephansplatz meidet, kann sich mit der Aussicht trösten: Im November, wenn es kalt wird, ist wieder Ruhe. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 8.8.2019)