Barock und Brutalismus. Mit Vorurteilen besetzt und immer wieder von neuem überraschend. Ein Paradebeispiel für Völkerwanderungen im mittelmeerischen Raum wie für bestürzende Armut – all das ist Sizilien. Und immer wieder ein Leseereignis. Denn gerade von der Peripherie aus, von Palermo, Catania und Porto d'Ercole, hat sich Italiens Literatur der letzten anderthalb Jahrhunderte oft revitalisiert, von Verga über Pirandello zu Brancati und Stefano D'Arrigo, und ist, man denke an die "gialli", die Kriminalromane, Andrea Camilleris, richtiggehend populär geworden.

Vor neun Jahren präsentierte die in Berlin lebende Journalistin Maike Albath, die länger in Norditalien ansässig war, mit Der Geist von Turin ein anregendes, kluges Porträt der piemontesischen Stadt als Geisteskapitale. Ausgehend vom Einaudi-Verlag und seinen Mit- und Zuarbeitern und Autoren wie Natalia Ginzburg, Italo Calvino oder Cesare Pavese zeichnete sie die Geistesgeschichte Italiens von den 1920er-Jahren bis heute nach. 2013 folgte mit Rom, Träume ein Pendant über Rom. Mit Trauer und Licht hat sie sich nun in den Süden geschrieben.

Unterhaltsame Manier

Die unterhaltsame Manier kennt man aus ihren anderen Bänden, eine Mischung aus fast zu kurz gehaltenen atmosphärischen Reiseimpressionen und langen Gesprächen, hier vor allem mit Anverwandten Giuseppe Tomasi di Lampedusas und dem Autor Vincenzo Consolo sowie zum Schluss einem Besuch in Rom beim jüngst verstorbenen Andrea Camilleri, dem trotz Erblindung hochproduktiven Montalbano-Erfinder. Und dazu kommt, auf raffinierte Weise in einem indirekten Konversationston wiedergegeben: die lange, gewundene, zerklüftete, raue Geschichte Siziliens und des Kontinents, vulgo: Italiens.

Besonders intensiv gelingt das Porträt des Autors von Il Gattopardo (Der Leopard), die Schilderung von Lampedusas aristokratisch müßiggängerischer Existenz in einem zerbröselnden Palermo sowie die Historie der Entstehung seines epochalen Romans, der für Herbst in einer neuen deutschen Übertragung angekündigt ist. Das ist durchweg überaus erhellend.

Verknapptes Finale

Je mehr sich Albath der Gegenwart nähert, Leonardo Sciascia etwa und den Mafia-Maxi-Prozessen, oder einem Treffen mit der Fotografin Letizia Battaglia, desto mehr schwindet das Arabeske, Eigenwillige. Dafür entschädigt das knappe Porträt der Verlegerin Elvira Sellerio und ihres Verlagshauses. Dass der Text im Finale etwas jäh abbricht, überrascht – und dann doch nicht. Diese Kunstlosigkeit kennt man bereits aus ihren Turin- und Rom-Büchern. (Alexander Kluy, 8.8.2019)