Kennst du die Perle im schönen Tirol? Das Städtchen Kitzbühel, das kennst du wohl... Aaaah! Durchatmen. Bärig ist es hier. Die Luft. Allein die Luft! Nicht die Stadtluft, die Bergluft macht frei. Dazu die herrliche unverfälschte Natur. Die hohen Berge, die lieblichen Almen. Der blaue Himmel! Die gesunden ehrlichen Kühe mit ihrer gesunden ehrlichen Milch. Die zünftige Brotzeit mit dem herzhaften Speck. Die Menschen mit dem Blick so klar wie das Wasser in einem künstlichen Bergsee (für den Kunstschnee). Damit die Gäst‘ drauf talwärts zum Original Tiroler Pressspanplatten-Hüttenabend mit dem Original Tiroler Echo oder zum Après Ski mit den Fidelen Jochberger Schnackselwastl‘n fahren können.
Die frohe Botschaft auf dem Wasserspeicherbecken
Grad juchazen möchte man vor lauter Lebensfreude! Und oben auf dem Wasserspeicherbecken nahe der Bergstation der Hahnenkammbahn wird jetzt grad im Sommer ein Floß über das Wasser gerudert, auf dem ER uns liaben Leitln vor lauter Gaudi über all das Schöne die frohe Botschaft aus dem Buch Hansi "Lass es tuschen" Hinterseer predigt: "Ich hab ein Herz für die Berge/ Für alle Menschen und dich ganz allein/ Es schlägt für dich und die Berge/ So war‘s schon immer, so wird‘s immer sein."
2011 war zwar nach zehn Jahren Schluss mit dem jährlichen Hansi-Hinterseer-Wandertag auf dem Kitzbüheler Hahnenkamm hinüber zur Ehrenbachhöhe. Die Kirche der volkstümlichen Musik mag auf Liebe gebaut sein, aber von der Luft allein kann man nicht leben. Und der Tourismusverband wollte die jährlich anreisenden, bis zu 11.000 Sektenanhänger dann doch nicht unterstützen, weil der Hansi für die eigene Tasche zwar CDs, Kaffeehäferl und Schnäuztücherl verscherbelte. Die Kaufkraft für die Nächtigungszahlen in den Betonjodlerhotels mit den Blumenkisterln auf dem Balkon aber ist traditionell eher nicht im Musikantenstadl, sondern im Musikverein zu Hause.
Im Wald da stehen Bäume
Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner hat dieses erstaunliche Phänomen allerdings in seinem jetzt vorliegenden Fotoprachtband "Volksmusik" für die Nachwelt festgehalten. Ausgehend von einer beruflichen Pflicht – neben Hansi Hinterseers Almauftrieb gab und gibt es auch alpine Woodstocks wie jenes der Zillertaler Schürzenjäger oder der Kastelruther Spatzen – begann Hechenblaikner über die Jahre sozusagen im Wald auch die Bäume zu entdecken.
Was sind das für Leute, die volkstümliche Musik nicht nur im Fernsehen und im Kuchlradio konsumieren, sondern auch weite Anreisen und erhebliche finanzielle Belastungen auf sich nehmen, um ihren Idolen live bei Großveranstaltungen nahe zu sein? Mittlerweile werden diese so genannten Volksmusik-Sendungen übrigens trotz Gabalier wieder weniger. Immerhin hat man bei den Sendern ein Alters- und Kaufkraftproblem des Publikums entdeckt. Das ist für Werbeeinschaltungen gar nicht gut. Dennoch gehen die Hütten speziell bei Konzerten von aberhunderten, mehr der finanziellen Lukrativität denn der Liebe zur Musik verpflichteten Gruppen über.
In der volkstümlichen Musikszene kann man bei entsprechendem marktschreierischen Talent halbwegs leicht ein finanzielles Auslangen finden, wenn man gern am Wochenende und nachts arbeitet und die Gesichtsmuskeln gut belastbar sind. Dauerlächeln ist bei dieser verlogenen Gaudi nämlich angesagt. Und falsches Dauerlächeln tut eigentlich schon nach fünf Minuten weh, ein Auftritt dauert aber mehrere Stunden.
Trost und Rat in der Postkartenheimat
Es ist, dies zeigt Lois Hechenblaikner in seinem Band Volksmusik, ohne die Leute sozialpornografisch bloßzustellen, vor allem eine Musik, die vom Volk gehört wird. Einfachen Leuten, die es nicht leicht haben im Leben. In unsicheren Zeiten suchen sie Trost, Rat und Halt in einer heilen alpinen Postkartenheimat. Die gibt es so natürlich nicht, aber: Was immer hilft, Hauptsache es hilft. Hier ist zwar alles falsch, wie bei jeder anderen Religion auch, es zählt aber der Glaube.
Second-Hand-Gefühle in den schablonenhaften Liedtexten, Brauchtumspflege im Trachtendiskonter und Musik, die irgendwo zwischen Volksliedwerk, Schlager und Publikumsverhöhnung entwickelt wurde: Lois Hechenblaikner bewegt sich durch dieses von geldgierigen Zynikern erfundene Gelobte Land, für das er zwar Emphatie, aber kein Verständnis aufbringt. Seine manchmal den Hals zuschnürenden Fotos hat er daraus mitgebracht. Dies ist ein hartes, schonungsloses Buch. Die Fotos lesen sich wie ein Roman. (Christian Schachinger, 9.8.2019)