Die Demonstrationen in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong sind längst mehr als reine Studentenproteste. Der Rückhalt in der Bevölkerung dürfte nach wie vor groß sein.

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"Liebe Reisende, bitte verzeiht uns", steht auf den bunten Flugzetteln zu lesen, welche die Aktivisten dieser Tage in Hongkongs Touristengegenden kursieren lassen. "Sie sind in einer zerrissenen, kaputten Stadt gelandet. Die Stadt, von der Sie geträumt haben, ist aber genau die Stadt, für die wir kämpfen."

Seit zwei Monaten schon legt die Protestbewegung, die sich ursprünglich gegen geplante Auslieferungen nach Festlandchina gerichtet hatte, Hongkong lahm. Für das Wochenende kündigten die zunehmend bedrängten Organisatoren die Besetzung des Flughafens Chek Lap Kok an, auf dem die meisten Touristen in der ehemaligen britischen Kronkolonie landen. Die Hongkonger Behörden meldeten am Donnerstag die 600. Festnahme, darunter soll sich auch ein 13-jähriger Demonstrant befinden.

Während sich die Unzufriedenen laufend neue und kreative Formen des Protests ausdenken, wächst aber auch die Sorge, dass die Unruhen der Hongkonger Wirtschaft nachhaltigen Schaden zufügen könnten – vor allem dem Tourismus. Die USA und Australien haben ihre Staatsbürger am Donnerstag zu erhöhter Vorsicht in Hongkong aufgerufen. "Die Proteste und Zusammenstöße haben sich jenseits der Bereiche ausgeweitet, in denen die Polizei Kundgebungen und Umzüge erlaubt hat", hieß es etwa auf der Internetseite des US-Generalkonsulats in Hongkong. Die Vertretung des chinesischen Außenministeriums in Hongkong rief Washington unterdessen auf, keine falschen Signale an "gewalttätige Separatisten" zu senden.

Frage: Wie groß ist der Rückhalt der Demonstranten in der Bevölkerung?

Antwort: Wenn man bedenkt, dass bei der bisher größten Demonstration zwei Millionen Menschen in einer Stadt auf der Straße waren, in der insgesamt sieben Millionen leben, dürften die nach wie vor meist friedlichen Proteste durchaus auf Rückhalt bei breiten Bevölkerungsschichten stoßen. Erst am Mittwoch marschierten tausende Hongkonger Anwälte in Schwarz durch die Straßen der Hafenstadt, um ein Zeichen für den Rechtsstaat zu setzen. Ob die jüngst eskalierten Demonstrationen – etwa Angriffe auf Regierungsgebäude und die Besetzung der sonst so effizient laufenden U-Bahn einerseits, Polizeigewalt und Tränengas andererseits – viele Bürger abgeschreckt haben, ist unklar. Experten zufolge dürften überschießende Reaktionen der Sicherheitskräfte den Widerstand vieler Hongkonger aber eher noch anstacheln.

Frage: Wirken sich die Proteste jetzt schon konkret auf die Wirtschaft aus?

Antwort: Die Proteste kosten viele Hongkonger schon jetzt bares Geld: In der vergangenen Woche hat der Aktienindex Hang Seng fast zehn Prozent im Vergleich zum Vormonat verloren – zuletzt hat er aber wieder zugelegt. Da viele Durchschnittsbürger der Finanzmetropole dort ihre Pensionsvorsorge anlegen, könnten sie durch die unsichere Lage langfristig aber finanziellen Schaden nehmen. Andererseits sind es aber gerade auch die exorbitant hohen Lebenshaltungskosten in der Stadt, die vor allem junge Demonstranten auf die Straße treiben.

Frage: Und wie wirkt sich das auf den Tourismus aus?

Antwort: Als die Proteste Anfang Juni ihren Ausgang nahmen, erlebte Hongkong einen Tourismusboom: Die Zahl der ausländischen Besucher war im Vergleich zum Vorjahr um mehr als acht Prozent gestiegen. Nun bleiben die Touristen Hongkong zwar nach wie vor keineswegs fern, ein leichtes Minus im Gastronomiesektor legt aber nahe, dass viele angesichts der Straßenproteste lieber in ihrem Hotel verweilen. Und die Festlandchinesen, die sonst oft gern in den Luxuswarenhäusern der Finanzmetropole auf Einkaufstour gehen, gaben zuletzt weniger Geld aus als zuvor.

Frage: Welche Strategie verfolgt Peking?

Antwort: Zuallererst dürfte eine gewaltsame Lösung tatsächlich nur die allerletzte Option im Konzept der Zentralregierung sein. Die Taktik, die Demonstranten möglichst lange zu blockieren, sie zu frustrieren und schließlich zu gewaltsamen Aktionen zu provozieren, zielt vielmehr darauf ab, den Rückhalt in der Bevölkerung zu erodieren. Yang Guang, Sprecher der Behörde für Hongkong und Macau, teilte die Demonstranten jedenfalls in zwei Gruppen ein: die "gewalttätigen Radikalen" und die "fehlgeleiteten, aber gutherzigen Bürger". (Florian Niederndorfer, 8.8.2019)