Das war das "Bestandsgebäude", auf dessen Basis eine mehrgeschoßige Villa mitsamt Schwimmbad und Tiefgarage in bester Lage entstanden ist. Der Neubau darf aus rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden.

Foto: privat

Viel war nicht mehr übrig, als 2011 die erste Baubewilligung erteilt wurde.

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Die Hanglagen im Norden von Innsbruck sind heiß begehrt. Traumhafter Ausblick, viele Sonnenstunden – hier oben, direkt an der Grenze zwischen Stadt und Natur, lebt es sich wunderbar. Doch Bauland ist Mangelware, Innsbrucks Stadtplanung versucht dieses Naherholungsjuwel, so gut es geht, als solches zu erhalten. Allerdings bietet das Tiroler Raumordnungsgesetz (TROG) Schlupflöcher, die findige Bauherren immer wieder für sich zu nutzen wissen. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür steht im Stadtteil Hötting.

Dort hat ein Immobilienentwickler in den vergangenen Jahren sein privates Domizil errichtet. Daran ist juristisch nichts auszusetzen, allerdings offenbart die Entstehungsgeschichte des Baus, warum etwa der Innsbrucker Baustadtrat Gerhard Fritz (Grüne) manche Paragrafen des TROG als "problematisch" bezeichnet.

Der Freiland-Paragraf

Allen voran der sogenannte "Freiland"-Paragraf. Dieser erlaubt es, dass Bestandsgebäude auf Freilandflächen, die also nicht als Bauland gewidmet sind, zu erhalten oder, wenn nötig, auch geringfügig und sinnvoll zu erweitern, um eine zeitgemäße Wohnnutzung zu ermöglichen. Im konkreten Fall wurde ein Grundstück erworben, das als Freiland gewidmet war. Auf diesem Grundstück lebte bis 1992 ein Mann quasi als Einsiedler in einem besseren Bretterverschlag, ohne Wasser- oder Kanalanschluss und ohne Strom.

Im Jahr 2011 wurde um eine Baubewilligung für ein Wohnhaus auf dem Grundstück angesucht. Der Bauherr berief sich dabei auf den besagten Freiland-Paragrafen 42 der TROG. Die Bewilligung wurde erteilt, obwohl vom einstigen Bretterverschlag fast nichts mehr übrig war, wie Fotos zeigen. Nachbarn bestätigen, dass die unbewohnte Hütte bereits vor mehr als zehn Jahren zusammengebrochen ist. Dabei verlangt die TROG, dass spätestens fünf Jahre nach der Zerstörung eines Gebäudes der Wiederaufbau erfolgen muss.

Vom Bretterverschlag zur Villa

Wie es 2011 dennoch zu einer Baubewilligung kommen konnte, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Denn die das Projekt betreffenden Unterlagen sind für die Öffentlichkeit nicht einsehbar, da es sich um ein Bauverfahren Privater gehandelt hat. Ein Wiederaufrollen des Falls sei so gut wie unmöglich, sagt Stadtrat Fritz.

So entstand auf dem Grundstück ein Haus mit 220 Quadratmetern Wohnfläche und 145 Quadratmetern Nutzfläche für Nebengebäude und Nebenanlagen.

Doch der Platz reichte offenbar nicht aus. Im Jahr 2014 reichte der Immobilienentwickler erneut einen Projektantrag ein, um das nun bestehende Gebäude um weitere 330 Quadratmeter Wohnfläche, 152 Quadratmeter Schwimmbad und 311 Quadratmeter Tiefgarage zu erweitern. Wieder sollte diese Erweiterung auf Basis eines Schlupfloches im TROG verwirklicht werden. Konkret ging es diesmal um den Paragrafen 61, der unterirdische Zubauten betrifft, die nicht der Baumasse zuzurechnen sind. Indem der gesamte Hang abgetragen wurde, die beschriebene, dreigeschoßige Erweiterung faktisch in den Berg gebaut wurde und das von zahlreichen großen Fenstern durchsetzte Dach wieder begrünt wurde, sei es keine oberirdische Erweiterung der Baumasse, so die Argumentation.

Stadtplanung machtlos

Die Innsbrucker Stadtplaner sahen das anders. Sie erteilten dem Vorhaben 2015 mittels Gutachten, das dem STANDARD vorliegt, eine sehr deutliche Absage: "Der beantragte Zubau läuft somit einer geordneten baulichen Entwicklung der Stadt (...) zuwider und steht im völligen Widerspruch zu wesentlichen Zielen der örtlichen Raumplanung." Insgesamt werde das Bauvorhaben daher "als nicht zulässig beurteilt".

Gebaut wurde trotzdem. Denn das Amt für Baurecht hat auf Basis einer großzügigen Auslegung des TROG das Amt für Stadtplanung überstimmt. Der für das negative stadtplanerische Gutachten zuständige Beamte darf sich aus Datenschutzgründen nicht zum konkreten Projekt äußern. Aber "ganz im Allgemeinen" sagt er hinsichtlich der Lücken im TROG, dass dieses einen Spielraum zulasse, den "findige Planer und Entwickler" immer wieder geschickt für sich zu nutzen wüssten. Das verursache in manchen Fällen "erstaunliche Lösungen".

Nachbarn sind verärgert

Für Baustadtrat Fritz ist der Fall ein "städtebauliches Ärgernis". Er sieht sich zudem mit aufgebrachten Nachbarn konfrontiert, die zum Teil seit den 1960er-Jahren um Baubewilligungen auf ihren Parzellen ansuchen, die ihnen aber stets unter Verweis auf Stadtplanung und Flächenwidmung verwehrt wurden. "Ich kann ihren Ärger und das Unverständnis verstehen", sagt Fritz. Er sei aber machtlos. Denn das TROG ist Landessache. Und trotz grüner Regierungsbeteiligung sei ein Abrücken vom Freiland-Paragrafen nicht in Sicht, wie Fritz meint: "Da gibt es große Widerstände im Bauernbund und somit der ÖVP."

Im Büro des zuständigen Landesrates Johannes Tratter (ÖVP) ist man sich keiner Probleme bewusst. Das Raumordnungsgesetz werde regelmäßig novelliert, und bezüglich des Paragrafen 42 habe man 2016 die Möglichkeit ergänzt, auch im Freiland Bebauungspläne zu erlassen. Die aktuell in Ausarbeitung befindliche Novelle des TROG, die im Oktober-Landtag behandelt wird, hat den Freiland-Paragrafen nicht zum Thema. In Innsbruck will man künftig die Möglichkeit eines Bebauungsplans bei größeren Projekten im Freiland nutzen. Der Immobilienentwickler wollte sich nicht äußern, denn für den Bau lägen rechtskräftige Bewilligungen vor. (Steffen Arora, 8.8.2019)