Foto: Christian Fischer

Die Nachbarin legt wortlos zwei Münzen auf den Tresen. "Kaffeetschi?", fragt Roman Singer, sie nickt. Singer kassiert noch 6,70 Euro von der Runde, die draußen vor dem Marktstand Spritzer trinkt, und steckt dann die Kapsel in die Kaffeemaschine. Schon hat er in wenigen Minuten fast so viel Geld eingenommen wie an den Samstagen, an denen er seit 1. Oktober 2018 seinen Stand auf dem Rochusmarkt geöffnet hatte – in Summe.

Er und die Betreiber der 700 Stände auf Wiens Märkten sind durch die neue Marktordnung gezwungen, ihre Geschäfte von Dienstag bis Freitag von 15 bis 18 Uhr und am Samstag von acht bis zwölf Uhr geöffnet zu haben. Seit Herbst hat Singer an allen 20 Samstagen, an denen er offen hatte, nur 11,80 Euro eingenommen.

Diese Woche präsentierte Ulli Sima, zuständige SPÖ-Stadträtin, die Besucherzahlen der Wiener Märkte, gerade zu den Kernöffnungszeiten seien sie gestiegen. Trotzdem formt sich Widerstand unter den Standlern. Mit dem Verein "Zukunft Wiener Märkte" wehren sie sich gegen das, was sie Bevormundung nennen. Man würde ja gegen die neue Marktordnung klagen, sagt Doris Knorr vom Verein, aber das Geld fehle.

Die Messer glänzen, hinter Roman Singer hängen sie im perfekten Arrangement auf einer Magnetleiste. "Meine Kunden kommen zum Mittagessen und später auf Getränke", sagt Singer. Ein Großteil der Kundschaft arbeite hier im Grätzel, sie wären nur unter der Woche da.

Standler allein auf dem Markt

Marktamtdirektor Andreas Kutheil sieht die Standler im Zugzwang. Wie jeder wirtschaftliche Betrieb sollen sie das Angebot der Nachfrage anpassen: "Es ist üblich, dass man beim Flanieren auf dem Markt frühstücken geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Betreiber so unflexibel sind, dass sie seit Oktober kein Frühstück im Angebot haben." Angesprochen auf Händler ohne Umsatz spricht Kutheil von Einzelfällen.

Einer dieser Einzelfälle ist Brigitte Lackstätter, sie betreibt seit 24 Jahren einen Geschirrstand auf dem Schlingermarkt in Floridsdorf – ohnehin ein schlecht besuchter Markt, im Sommer läuft es noch schlechter. "Wenn es so heiß ist, kommen zwischen 16 und 18 Uhr keine Leute, die Marktkaufleute stehen allein auf dem Markt", sagt Lackstätter. Sie fordert Ausnahmeregelungen, denn: "Es kostet viel Geld, wenn ich im Geschäft bin und nichts einnehme." Die Standler vom Floridsdorfer Markt versuchen, ihn mit Aktionen anzukurbeln: mit Gratisverkostungen und Gemüsewettschälen. Und hoffen auf den Herbst.

Noch einer der sogenannten Einzelfälle ist Christian Chvosta, ehemaliger Betreiber des Craftbier-Standes Milchbart auf dem Meidlinger Markt. Die neue Marktordnung sei nicht der einzige, aber "natürlich auch mit ein Grund" gewesen, warum er seinen Stand mit Jänner zusperrte. "Leute zu etwas zwingen, wenn man selbstständig ist, kann nur kontraproduktiv sein", sagt er.

Keine Änderung in Aussicht

Bisher wurden laut Stadträtin Sima keine Strafen wegen Verletzungen der Kernöffnungszeit ausgesprochen. Auch den Standlern sind keine Strafen bekannt. Wohl aber Kontrollen: Jeden Samstagvormittag und Dienstag bis Freitag am Nachmittag würden Mitarbeiter des Marktamts durchgehen und prüfen, ob die Stände auch tatsächlich geöffnet sind.

Neben dem Lokal, in dem Singer Pasta und Spritzer verkauft, befindet sich ein Asia-Stand. Auf dem Schild an der Eingangstür stehen die Öffnungszeiten, dar unter ein nachträglich aufgeklebter Sticker: "SA 8 – 12" steht dar auf. Anfangs bereitete Betreiber Sun Hong Lee für die Samstage noch Essen vor, erzählt er. Nachdem er es jedes Mal wegwerfen musste, schenkt er nun am Wochenende nur noch fertige Getränke aus. Etwa fünf Euro nahm er seit Herbst damit ein, sagt Lee, während hinter ihm die Teigtascherln in Öl brutzeln. Gegenüber hängt ein grünes Plakat an der Wand: "Widerstandl" steht in großen Lettern drauf. Ob der Widerstand nützen wird? Es sei nicht geplant, die Kernöffnungszeiten aufzuweichen, heißt es von Marktamt und Stadträtin. (Gabriele Scherndl, 9.8.2019)